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Sozialkontakte: Wie sich Krankheiten ausbreiten  
  Die Grippe breitet sich wie viele andere Infektionskrankheiten über die Atemluft oder Berührungen aus. Um eine Epidemie zu vermeiden, gilt es Übertragungswege auszuschließen oder zu kontrollieren. In der bisher größten Studie haben europäische Forscher nun versucht, die genauen Muster von Sozialkontakten quer durch alle Bevölkerungsschichten zu erheben, um eine mögliche Ausbreitung genauer vorherzusagen.  
Eine breite und differenzierte Datenbasis bildet die Grundlage eines mathematischen Modells der Krankheitsausbreitung. Nebenbei entstand eine Landkarte des menschlichen Sozialverhaltens, berichtet J. Mossong und sein Team.
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Der Artikel "Social Contacts and Mixing Patterna Relevant to the Spread of Infectious disease" von J. Mossong et al. ist am 24. März in "PLoS Medicine" (Bd. 5, DOI: 10.1371/journal.pmed.0050074) erschienen.
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Sozialkontakte wurden über ein Tagebuch erhoben
Wenn rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden, können Epidemien bekämpft werden. Schon bisher war bekannt, dass die Verteilungsmuster von Sozialkontakten dabei eine wesentliche Rolle spielen, man verließ sich aber bei epidemiologischen Vorhersagemodellen auf Annahmen oder auf nur wenige empirische Daten.

Ziel der Wissenschaftler war es daher, ausreichend Daten für eine exaktere Modellierung zusammenzutragen. Dazu führten sie eine Erhebung in acht europäischen Staaten durch. Regionale Gesundheitsinstitutionen in Belgien, Deutschland, Finnland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Holland und Polen waren für die Auswahl repräsentativer Teilnehmer und das Sammeln der Daten verantwortlich.

Über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr wurden die Sozialkontakte von 7.290 Personen quer durch alle Bevölkerungsgruppen mit Hilfe von Tagebuchaufzeichnungen erhoben. 97.904 Sozialkontakte wurden dabei insgesamt erfasst.
Genaue Beschreibung der Einzelkontakte
Die Eintragungen enthielten einerseits grundlegende soziodemographische Informationen, wie Alter, Geschlecht, Ausbildung etc. Andererseits mussten die Teilnehmer all ihre Sozialkontakte an einem zufällig ausgewählten Wochentag festhalten.

Bei den Kontakten wurde zwischen physischen Kontakten wie Hände schütteln oder Küssen und reinen Gesprächskontakten unterschieden. Darüber hinaus mussten Angaben zur Kontaktperson, zum Ort (Schule, Arbeit, Zuhause, etc.), zur Dauer und über die Häufigkeit des Kontaktes zu der jeweiligen Person gemacht werden. Die Daten wurden danach mit statistischen und mathematischen Methoden analysiert.
Kontakte in allen Ländern ähnlich verteilt
Das Ergebnis: Die Verteilung der Kontakte über alle Altersgruppen war laut den Forschern in allen Ländern ziemlich ähnlich. Vor allem Kinder treffen sich besonders häufig, am meisten im Alter zwischen zehn und 15 Jahren. Bis zum 50. Lebensjahr fallen die Kontakte etwas ab, die wenigsten hat eindeutig die älteste Bevölkerungsgruppe.

Abgesehen vom Alter korrelierten auch einige andere Faktoren mit der Häufigkeit der Kontakte: etwa die Größe des Haushalts oder der Wochentag. Insgesamt fand mehr als die Hälfte aller Kontakte in der Schule, zu Hause oder in der Arbeit statt.

Aber auch die Intensität der Kontakte wurde analysiert. So gab es bei längeren oder häufigeren Treffen eindeutig mehr körperliche Berührungen. Auch waren 75 Prozent der häuslichen und 50 Prozent der schulischen Kontakte waren physisch, von den restlichen nur ein Drittel.
Höchstes Verbreitungsrisiko unter Kindern und Jugendlichen
Was die Verteilung der Muster betrifft, gibt es laut den Forschern drei wesentliche Merkmale. Eins davon ist, dass alle Individuen bestimmte Auswahlkriterien verwenden, das heißt etwa dass sie den meisten Kontakt zu Gleichaltrigen haben. Besonders ausgeprägt ist dies im Alter zwischen fünf und 24 Jahren, am geringsten bei den 55- bis 69jährigen.

Die zweite, wenn auch nicht ganz so ausgeprägte Achse, ist jene zwischen Kindern und Erwachsenen, also mit Eltern oder anderen Betreuungspersonen. Die dritte Auffälligkeit ist die relative Häufigkeit der nicht körperlichen Kontakte unter Erwachsenen, meistens am Arbeitsplatz.

Mit Hilfe der erhobenen Daten versuchte das Team rund um Mossong nun die Anfangsphase einer Epidemie zu simulieren. Dabei zeigte sich nicht ganz unerwartet, dass die größte Ausbreitung unter Schulkindern stattfinden würde. Generell stellen Kinder und Jugendliche die größte Risikogruppe dar.
Die ähnlichen Verteilungsmuster ermöglichen Prognosen
Eins der interessantesten Ergebnisse der Studie ist laut den Autoren die große Ähnlichkeit der Verteilungsmuster in allen beteiligten Ländern, auch wenn die absolute Häufigkeit der Kontakte oft sehr unterschiedlich war, wie etwa ein Vergleich der Daten aus Deutschland und Italien deutlich zeigt, die Italiener treffen sich nämlich deutlich häufiger als die Deutschen.

Daraus könne man schließen, dass die Ausbreitung einer Infektionskrankheit in ganz Europa, zumindest in allen Ländern mit vergleichbarer Sozialstruktur, nach einem ähnlichen Muster ablaufen würde.

Generell könne man laut den Wissenschaftlern mit den neuen Daten Modelle zur Krankheitsausbreitung genauer berechnen und in der Folge neue Präventionsmaßnahmen ergreifen.

[science.ORF.at, 24.03.08]
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01.01.2010