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"Elite": Bücher suchen nach Inhalt eines Modeworts  
  Im deutschsprachigen Raum war der Begriff lange Zeit wegen der Nazis und ihrer Ideologie der Auslese belastet. Doch seit einiger Zeit wird in Deutschland und auch Österreich wieder offener von "Eliten" gesprochen. In zwei Büchern haben Journalistinnen den Begriff nun beleuchtet.  
Bruch mit Nachkriegstabus
Die junge Autorin Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, ist für ihr Buch "Gestatten: Elite" herumgereist "auf den Spuren der Mächtigen von morgen". Das Buch ist schnell in die Bestseller-Listen gelangt. Sie schreibt: "Die Renaissance des Elitebegriffs fällt in die Schröder-Ära und in die Zeit des wirtschaftlichen Abschwungs."

In den Jahren der rot-grünen Regierung habe "die Zahl der Diskussionen, in denen man Nachkriegstabus brach" zugenommen. Sie spricht von einem "Das-wird-man-doch-mal-langsam-wieder-sagen-dürfen"-Gefühl".
Unbehagen über Parallelwelt der Reichen

Die junge Autorin war unterwegs und schaute sich den (meist selbst ernannten) Nachwuchs der bundesrepublikanischen Elite an. Die Eindrücke ihrer Reportage-Besuche bei Elite-Internaten, -Hochschulen oder einer Beraterfirma sind für sie desillusionierend. Zwar traf sie leistungswillige, freundliche und intelligente Menschen.

Doch ist sie irritiert von jungen Leuten, die starr auf Karriere, Status und Geld blicken und dabei oft abschätzig auf sogenannte Minderleister schauen.

Als solche gelten dann Menschen, die weniger als 70 Stunden pro Woche arbeiten oder arbeitslos sind. Die Autorin macht aus ihrem Unbehagen über die Parallelwelten dieser Reichen keinen Hehl.
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Das Buch von Julia Friedrichs, "Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen", ist im Hoffmann und Campe Verlag erschienen.
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Herkunft entscheidet über Position
Die Autorin traf sich auch mit dem Soziologen und Eliteforscher Michael Hartmann. Er hat anhand der Untersuchung tausender Lebensläufe festgestellt: in Deutschland bestimmen nicht allein Qualifikation und Leistung über den Aufstieg - so wie es vielleicht fairerweise sein sollte. Es ist viel öfter die soziale Herkunft.

"Das Elternhaus beeinflusst den Zugang zur deutschen Elite ganz direkt." Eltern, die es sich leisten können, zahlen dafür, dass ihre Sprösslinge in die richtigen Zirkel und Netzwerke gelangen. Auf diese Weise kommt der Nachwuchs der Reichen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Das Unter-sich-Bleiben wird gesichert.
Eliten reden übereinander
Auch wenn der Titel vom "Lob der Elite" anderes vermuten lassen könnte: das Buch der FAZ-Bildungsexpertin Heike Schmoll ist kein Blanko-Scheck für die deutsche Oberschicht. Schmoll sieht in Deutschland vielmehr allerhand "Lobbyistentum" und "teilweise ausgeprägte Vetternwirtschaft".

"Wegen der Zersplitterung der Eliten ist es in Deutschland üblich geworden, dass Eliten eher übereinander reden als miteinander."
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"Lob der Elite. Warum wir sie brauchen" von Heike Schmoll ist im Verlag C.H. Beck erschienen.
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Mehr nationales Selbstbewusstsein

Ausführlich widmet sie sich Frankreich und stellt fest: "Während die Franzosen zu wissen scheinen, dass auch "global players" über eine ausgeprägte nationale Identität verfügen müssen, ergreift in Deutschland das allgemeine Gefasel von Internationalisierung und Globalisierung alle von der Wissenschaft bis zur Wirtschaft...".

Viele Politiker kommen bei Schmoll ebenfalls nicht gut weg, etwa wenn sie "Pseudo-Eliten an Exzellenz-Hochschulen" schaffen oder europaweit Abschlüsse wie den Bachelor einführen. Schmoll plädiert für mehr nationales Selbstbewusstsein. Dazu bietet sie viel theoretisches Rüstzeug. Ihr patriotischer Elitebegriff wird zudem mit historischen Exkursen unterfüttert.

[science.ORF.at/dpa, 25.03.08]
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01.01.2010