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Rauchen: Sind Suchtgene auch Krebsgene?  
  Gleich drei Forschergruppen berichten dieser Tage über Genvarianten, die offenbar das Risiko für Lungenkrebs erhöhen. Über die konkreten Mechanismen sind die Wissenschaftler allerdings noch uneinig. Die Mutationen könnten die Ansatzstellen für Nikotin im Gehirn verändern, sie könnten aber auch die Bildung von Krebszellen in der Lunge fördern.  
Der Sucht-Rezeptor
Dass Rauchen Lungenkrebs auslösen kann, ist eigentlich eine Binsenweisheit. In welchem Ausmaß auch die Genetik an der Entstehung von Lungenkarzinomen beteiligt ist, war bis vor kurzem noch unklar. Drei soeben in den Zeitschriften "Nature" (Bd. 452, S. 633 und 638) sowie "Nature Genetics" (doi:10.1038/ng.109) veröffentlichte Studien legen nun nahe: Es lassen sich auch im Erbgut gewisse Risikofaktoren festmachen.

Konkret handelt es sich dabei um eine Region auf dem langen Arm des Chromosom Nummer 15, in der unter anderem Gene für sogenannte Acetylcholin-Rezeptoren liegen. Das sind genau jene Rezeptoren, an die auch das Nikotin im Hirn bindet - und somit jenen Suchtmechanismus auslösen, der uns regelmäßig wider besseres Wissen zur Zigarette greifen lässt.
Indirekte Wirkung: Hirn
Nachdem es eine äußerst starke statistische Assoziation von Zigarettenkonsum und Lungenkrebs gibt, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass Ähnliches bei Varianten der Acetylcholin-Rezeptoren festgestellt wird, sofern sie das Suchtverhalten beeinflussen.

Zu genau diesem Schluss kommt eine Gruppe um den Isländer Kari Stefansson: Die Forscher stellten fest, dass feine genetische Variationen (so genannte SNPs) auf dem Chromosom 15 sowohl mit der Anzahl der gerauchten Zigaretten als auch mit der Stärke der Nikotinabhängigkeit zusammenhängen.

In diesem Fall ist das erhöhte Krebsrisiko bei Trägern bestimmter Mutationen durch das Verhalten erklärbar. Die Mutation fördert das Verlangen nach Zigaretten, deren Konsum schädigt wiederum die Lungenzellen. Die Folge: Das Krebsrisiko steigt.
Direkte Wirkung: Lunge
Es könnte aber auch ganz anders sein. Die zwei anderen Forscherteams fanden nämlich keinen derartigen Zusammenhang. Sie schließen aus ihren Analysen, dass es eine direkte Verbindung zur Bildung von Krebszellen gibt.

Gewisse Untereinheiten der Acetylcholin-Rezeptoren werden nämlich nicht nur in Nervenzellen gebildet, sondern auch im Lungengewebe. Und just diese Untereinheiten binden, wie bereits frühere Studien gezeigt haben, an diverse krebserregende Substanzen wie etwa Nitrosamine.

Interessanterweise stimmen auch diese beiden Forschergruppen in einem wichtigen Punkt nicht überein. Forscher um Paul Brennan vom Krebsforschungszentrum in Lyon errechnen anhand ihrer Daten, dass der Zusammenhang sowohl für Raucher als auch für Nichtraucher gilt. Christopher Amos vom Cancer Center in Houston und seine Mitarbeiter sagen hingegen: Nein, er gilt nur für Raucher.
Drei Studien, drei Resultate
Wie ist es möglich, dass seriöse und mit nicht geringem Aufwand betriebene Untersuchungen zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen? Stephen Chanock National Cancer Institute in Gaithersburg und sein Harvard-Kollege David Hunter führen das auf uneinheitliche Probandengruppen zurück.

Um relativ subtile genetische Effekte nachweisen zu können, bedarf es sehr großer Samples. Die bringe man oft nur dann zustande, wenn man sich bei Informationen über den Lebensstil der Probanden bescheidet, schreiben die beiden in einem begeleitenden Kommentar (Nature 452, S. 537). Die vorläufige Botschaft lautet also: Es gibt genetische Effekte, ob sie nun direkt oder indirekt wirken, ist noch nicht ausgemacht.
Rauchen schadet immer
Zwar befinden sich die drei nun veröffentlichten Studien noch auf dem Level der Grundlagenforschung. Es dürfte allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis Firmen Tests zur Bestimmung des individuellen Lungenkrebsrisikos anbieten werden. Die entsprechende Technologie, SNP-Chips etwa, gibt es jedenfalls.

Chanock und Hunter befürchten, dass solche Tests die Anti-Raucher-Initiativen des öffentlichen Gesundheitswesens unterminieren könnten. Selbst wenn dereinst Genvarianten gefunden werden, die ihren Trägern zu einer gewissen Resistenz gegen Lungenkrebs verhelfen, schreiben die beiden, "so ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie auch vor Herz- und anderen Lungenerkrankungen schützen."

Robert Czepel, science.ORF.at, 3.4.08
->   Lungenkrebs - netdoktor.at
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01.01.2010