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Hand, Herz, Pfeil: Wie die Azteken ihr Land vermaßen  
  Wenn es um Landvermessung und Bewertung von Grundstücken ging, konnten es die Azteken mit modernen Verwaltungen aufnehmen: Sie entwickelten eine eigene Arithmetik, mit der die Größe von Grundstücken genau bestimmt werden konnte. Zwei Forscherinnen haben nun die Kalkulationen der Azteken mit dem Computer nachgerechnet und konnten den Großteil exakt reproduzieren.  
Jene Fälle, in denen der Computer zu einem geringfügig anderen Ergebnis kam als die Buchhalter der Azteken, nahmen Maria del Carmen Jorge y Jorge von der Autonomen Universität Mexiko und Barbara Williams von der University of Wisconsin zum Anlass, die Bedeutung der Symbole auf den Plänen zu klären. Und siehe da: Herz, Pfeil, Knochen und Hand konnten genaue Werte zugewiesen werden.
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Die Studie "Aztec Arithmetic Revisited: Land-Area Algorithms and Acolhua Congruence Arithmetic" ist am 4. April 2008 in "Science" erschienen (Band 320, S. 72-76, DOI: 10.1126/science.1153976).
->   Abstract der Studie
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Dicke Ordner von Plänen
Als Österreicher muss man sich den Azteken richtig verbunden fühlen: Denn so wie hierzulande gerne jedes Detail menschlicher Existenz in dicken Akten abgelegt wird, nahm es das mittelamerikanische Volk mit dem Landbesitz besonders genau.

Viel Energie wurde in das Aufzeichnen von Grundstückgrößen investiert, dicke Ordner von Plänen sind bis heute erhalten geblieben.
Zwei Stadtbezirke, 2.000 Zeichnungen
 
Bild: Science

Maria del Carmen Jorge y Jorge und Barbara Williams wollten dem System, mit dem die Azteken die Ausmaße eines Landstücks berechneten, auf den Grund gehen und wurden nahezu überflutet, obwohl sie sich auf die Aufzeichnungen von nur zwei Bezirken von Tepetlaoztoc, einer Stadt sechs Kilometer nördlich des heutigen Texcoco konzentrierten:

Über 2.000 Zeichnungen von Landbesitz wie jene oben im Bild entstanden zwischen 1540 und 1544 - 367 analysierten die Forscherinnen, um dem Rechensystem auf die Spur zu kommen.
Grundeinheit zirka 2,5 Meter lang
Die Azteken stellten jedes Grundstück in zwei Zeichnungen dar: Einmal wurde die Länge der Seitenteile eingezeichnet (Milcocolli genannt), einmal das Flächenmaß (Tlahuelmantli). Für die Seitenteile verwendeten sie Striche.

Wie lange ein Strich war, leiteten die Forscherinnen aus einer aztekischen Chronik ab. Darin war vermerkt, dass eine solche Einheit zirka dreimal die spanische "Vara" war - ein altes Maß, das 83 Zentimeter im metrischen System wäre. Der Strich der Azteken entsprach also ungefähr 2,5 Metern.
Striche, Punkte, Zeichen
 
Bild: Science

Im Bild oben sind Beispiele für die Grundstücksaufzeichnungen der Azteken zu sehen: Jeweils links sind die Beschreibungen der Seitenlängen dargestellt, rechts die Flächenangaben. Die Striche in den linken Bildern stehen für rund 2,5 Meter, die Punkte für 20 "Stricheinheiten". Im rechten Bild steht ein Strich für 2,5m2, der Punkt entsprechend für 20 "Stricheinheiten" zum Quadrat.
Fünf Algorithmen
Als nächstes entschlüsselten die Forscherinnen die Rechenprozesse, die die Azteken verwendeten, um Angaben zu den Flächen zu machen. Insgesamt konnten sie fünf Algorithmen identifizieren, beginnend bei der einfachen Multiplikation, bis hin zu Kombinationen aus Multiplikation mit Addition und Division.

Mit Computerunterstützung wurden die Angaben auf den Zeichnungen Plänen nachgerechnet - in 60 Prozent der Fälle mit dem Ergebnis, zu dem auch die Buchhalter der Azteken gekommen sind.
Symbole für Abweichungen verantwortlich
 
Bild: Science

Da es bei den übrigen 40 Prozent nur geringe Abweichungen gab, machten sich die Forscherinnen auf die Suche nach den Ursachen - und sie wurden bei den Symbolen auf den Plänen fündig. Wie sie herausfanden, stehen die Zeichen für ein bestimmtes Verhältnis, in dem die Grundeinheit mit 2,5 Metern Länge gebrochen wird.

Bei der Hand etwa lautet das Verhältnis: Fünf Hände entsprechen drei Grundeinheiten, eine Hand wäre damit ca. 1,5 Meter lang (weitere Beispiele siehe Bild oben). Wurden diese Symbole in die Kalkulationen einbezogen, stimmten die Ergebnisse des heutigen Computers mit jenem der Azteken wieder überein.
"Erstaunliche Modernität"
Die Forscherinnen sprechen angesichts der Rechenergebnisse denn auch von einer "erstaunlichen Modernität", mit der die Azteken ihr Land verwalteten.

Offen bleibt aber weiterhin, wie genau sie diese speziellen Algorithmen entwickelt haben - aufgrund der Faszination, die von den Rechenkünsten der Azteken ausgeht, wird die aktuelle Arbeit nicht die letzte zu diesem Thema bleiben.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 4.4.08
->   Departemento de Matematicas y Mecanica (Univ. Mexico)
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01.01.2010