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"Gehirndoping" unter Wissenschaftlern weit verbreitet  
  Das den Geist anregende Medikament "Ritalin" erfreut sich in Wissenschaftlerkreisen großer Beliebtheit. Das zeigt eine Online-Umfrage der Fachzeitschrift "Nature", an der sich 1.400 Forscher aus 60 Ländern beteiligt haben. Ihr zufolge betreibt ein Fünftel regelrechtes "Gehirndoping".  
Der Hintergrund der Umfrage: Im Dezember 2007 beschrieben zwei Forscherinnen in "Nature", dass viele ihrer Kollegen zwecks Leistungssteigerung zu Psychopharmaka greifen, und baten das geschätzte Publikum um die eigene Meinung. Das Feedback war so groß, dass "Nature" Anfang 2008 mit einer eigenen Online-Umfrage startete.
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Der Beitrag "Poll results: look who's doping" von Brendan Maher ist am 10. April 2008 in "Nature" erschienen (Band 452, S. 674f).
->   Zum Beitrag
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Scherz zum 1. April ...
"Das Thema eignet sich eigentlich für einen Aprilscherz" - das dachte sich wohl Jonathan Eisen, Entwicklungsbiologe an der Universität Californien, als er am 1. April 2008 eine Presseaussendung ausschickte, in der ein hartes Durchgreifen des National Institute of Health gegen "gehirn-dopende" Wissenschaftler angekündigt wurde.

Missbrauch von leistungssteigernden Medikamenten wie Ritalin und Provigil würde streng bestraft, war da zu lesen, und auch die Website der "World Anti-Brain Doping Authority" wurde extra für den 1. April gefälscht.
->   Blog-Eintrag von Jonathan Eisen
... aber eigentlich ernstes Thema
Das Thema ist aber nicht völlig aus der Luft gegriffen, wie Barbara Sahakian und Sharon Morein-Zamir von der Universität Cambridge erfahren haben.

Sie beschrieben "Professor's little helper" und baten um Feedback seitens der Leser, ob denn auch in ihrer Umgebung Gehirn-Doping praktiziert wird.
Weite Verbreitung in der Wissenschaftswelt
Der große Rücklauf veranlasste "Nature" zu einer Online-Umfrage, deren Ergebnisse nun vorliegen: Ein Fünftel der Menschen, die den Fragebogen ausgefüllt haben, nimmt leistungssteigernde Medikamente aus keinem medizinischen Grund, wobei sich zu dieser Gruppe keine statistisch relevanten Aussagen hinsichtlich Geschlecht und Alter machen lassen.

Am häufigsten (62 Prozent) wird Methylphenidat genommen - ein Wirkstoff, der unter dem Namen Ritalin besser bekannt ist und häufig an hyperaktive Kinder verschrieben wird. Bei den Kindern soll er bewirken, dass sie sich besser konzentrieren können - auf diesen Effekt hoffen wohl auch die erwachsenen Konsumenten.
->   Mehr über Methylphenidat (Wikipedia)
Auch Amphetamine häufig
Am zweiten Platz folgt Modafinil (bekannt als Provigil), an letzter Stelle kamen bei der Befragung Betablocker. In einigen Antworten wurden auch Angaben zu anderen Medikamenten gemacht, die zwecks Aufmerksamkeitssteigerung eingenommen werden: Am häufigsten kamen dabei Amphetamine vor.
"Verbesserte Aufmerksamkeit"
Der Fragebogen bot einige Antwortmöglichkeiten auf die Frage, warum die Medikamente eingenommen werden: "Verbesserte Aufmerksamkeit" war das Hauptmotiv, aber auch "Überwinden eines Jet-Lags". Besonders gern genutzt wurde die Antwort "Andere": Dabei wurden so kuriose Begründungen angegeben wie "Fit sein für eine Party", "Hausarbeit" und "um feststellen zu können, ob der zuvor gelesene Artikel irgendeine Substanz hat".

Rund die Hälfte gab an, unter unangenehmen Nebenwirkungen durch die Medikamente wie Kopfschmerzen, Angstzustände und Schlaflosigkeit gelitten zu haben.

Ein Drittel der Medikamente, die aus keinem medizinischen Grund geschluckt wurden, haben die Fragebogen-Teilnehmer aus dem Internet bezogen, die restlichen zwei Drittel wurden über Apotheken bzw. Verschreibungen besorgt.
Hemmschwelle wird weiter sinken
Auch wenn an der Zuverlässigkeit von Online-Fragebögen immer gezweifelt werden darf: Die hohe Resonanz auf Artikel und Umfrage zeige zumindest, dass Medikamentenmissbrauch in der Wissenschaftswelt weit verbreitet sei, heißt es im "Nature"-Beitrag.

Der Neurowissenschaftler Anjan Chatterjee von der Universität Pennsylvania in Philadelphia sagt voraus, dass der Konsum von kognitionsfördernden Medikamenten weiter zunehmen wird: Wie bei der kosmetischen Chirurgie werde auch hier die Nachfrage steigen, je - gesellschaftlich - akzeptierter die Einnahme ist.

Die Kombination aus Medikamentenkonsum durch angesehene Gruppen wie Wissenschaftler und einfache Verfügbarkeit durch das Internet werden die Hemmschwelle weiter sinken lassen.

[science.ORF.at, 9.4.08]
->   Anjan Chatterjee
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Herzmedikament als potenzielles Dopingmittel? (12.2.08)
->   Gehirndoping: Licht macht schlau (22.8.07)
->   Brain-Doping: Kreatin stärkt die Muskeln und den Geist (13.8.04)
 
 
 
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01.01.2010