News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 
Fußball-Legionäre: Vorreiter der Migration  
  Migranten werden im Sport martialisch Legionäre genannt. Über viele Jahrzehnte haben sie den österreichischen Fußball geprägt. Zum Teil werden sie als Vorbilder verehrt, zum Teil verantwortlich gemacht für die schlechten Leistungen der einheimischen Kicker.  
In der bisher umfangreichsten Studie haben die beiden Politikwissenschaftler Barbara Liegl und Georg Spitaler nun Daten über diese "Legionäre" in der obersten Leistungsklasse des österreichischen Fußballs erhoben.

Die Fußballer haben in mancher Hinsicht eine Vorreiterrolle für allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen eingenommen, meint Spitaler.
30 Prozent kommen aus (Ex-)Jugoslawien
Insgesamt sind die Forscher auf über 1.100 Spieler nicht-österreichischer Herkunft gestoßen, die seit 1945 auf den Plätzen der heimischen Bundesliga (früher auch Staatsliga oder Nationalliga genannt) spielten.

Mit 30 Prozent kommt der Löwenanteil dabei aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien, gefolgt von Deutschen (15 Prozent), Tschechen und Slowaken (acht Prozent) sowie Ungarn.
Derzeit knapp 40 Prozent
Der Anteil der Legionäre entsprach lange Zeit ungefähr dem Prozentsatz von Migranten in der Gesamtbevölkerung, ehe er sich durch liberalere Zugangsregeln zum Arbeitsmarkt ("Bosman-Urteil") noch erhöhte.

Waren es Ende der 50er Jahre noch rund fünf Prozent, stieg der Anteil Anfang der 70er Jahren auf 13 Prozent an, ehe er durch einen Aufnahmestopp auf neun Prozent reduziert wurde. Seit rund zehn Jahren pendelte sich der Legionärsanteil auf einem Niveau von rund 39 Prozent ein.
Von wegen "drittklassig"
Die oft gehörte Klage, wonach "bloß zweit- oder drittklassige Legionäre" heimischen Fußballern ihren Platz im Verein wegnehmen, lässt sich durch die Daten nicht erhärten.

Im Schnitt sind die ausländischen Fußballer nämlich erfolgreicher: Sie spielen öfter und länger als ihre österreichischen Kollegen, erzielen mehr Tore und mehr als ein Drittel hat für das eigene Land im Nationalteam gespielt.

Dass "die Ausländer" schuld am mittelmäßigen Zustand des Nationalteams seien, ist dennoch eine der Konstanten im österreichischen Fußball, meint der Politologe Georg Spitaler im science.ORF.at-Interview.
science.ORF.at: Gibt es Parallelen zwischen dem Fußball in Österreich und der Migration des Landes?

Georg Spitaler: Ja, ganz deutlich. In der Nachkriegszeit etwa spielten in Österreich neben Einheimischen v.a. Flüchtlinge: zu Beginn zum Beispiel die so genannten Volksdeutschen, 1956 dann vom Aufstand geflohene Ungarn. In den 60er Jahren wurden für den österreichischen Arbeitsmarkt Gastarbeiter angeworben, v.a. aus Jugoslawien, und von dort stammen auch im Fußball am meisten Spieler. Zudem spielten auch die ersten Lateinamerikaner und Skandinavier. Unterrepräsentiert blieben bis heute im Fußball nur die Türken.

Prinzipiell muss man sagen: Fußball ist ein Produkt von Migration. Das Spiel wurde von Briten in die ganze Welt getragen bzw. von Menschen, die nach England gegangen und dann wieder nach Hause zurückgekehrt sind. Auch der berühmte Wiener Spielstil der Zwischenkriegszeit ist nicht denkbar ohne die Tschechen, die in Wien gelebt haben.
...
Buch zum Thema
Die vom FWF geförderten Studien der beiden Politologen Barbara Liegl und Georg Spitaler erscheinen Ende April 08 im Braumüller Verlag in Buchform:
->   "Legionäre am Ball"
...
Sie haben auch Diskursanalysen von Zeitungen zu diesem Thema gemacht. Warum ist Fußball für einen Politologen ein lohnendes Feld der Untersuchung?

Im Fußball wurde schon sehr früh und sehr emotional über Zuwanderung diskutiert, zu einer Zeit, als das Thema Gastarbeiter in den Zeitungen noch sehr schwach war, noch kein Thema für den Boulevard. Fußball war ein Vorreiter, auf dem Rasen hat man zum ersten Mal Menschen gesehen, die anders aussehen, die eine andere Hautfarbe haben. In einer Volkszählung der 1960er Jahren wurden z.B. nur rund 650 Afrikaner in Österreich gezählt, am Fußballplatz aber gab es bereits schwarze Spieler aus Lateinamerika.
Was hat sich in den 60 Jahren Ihres Untersuchungszeitraums geändert?

Heute ist das so genannte Ausländerthema gesamtgesellschaftlich viel präsenter geworden, die Diskussionen von Sport und Politik vermischen sich. Im Sport werden Anti-Ausländer-Argumente von politisch einschlägig interessierter Seite verwendet, auf der anderen Seite gibt es Institutionen wie Fair Play, die sich gegen Rassismus auf dem Fußballplatz engagieren, mittlerweile unterstützen das auch die Verbände.

Zumindest in Österreich ist es so, dass auf den Rängen sehr viel weniger rassistische Fanchöre gegen einzelne Spieler zu hören sind, als noch vor Jahren. Die organisierten Fangruppen verstehen sich zum größten Teil als unpolitisch. Und Rassismus ist für diese Ultras eine Art von politischer Aussage, die sie gar nicht treffen wollen. Was nicht heißt, dass Ausländerfeindlichkeit kein Thema mehr ist auf dem Fußballplatz.
Fußballfans erscheinen ambivalent: zum einen können dunkelhäutige Spieler der Gegner durchaus mit rassistischen Affenlauten bedacht werden, zum anderen scheinen Hautfarbe und Herkunft der eigenen Spieler egal. Sind Fußballfans liberaler oder noch identitätsfixierter als andere Menschen?

Beides. Sie sind auf jeden Fall identitätsfixierter, denn darum geht es ja im Fußball. Über die Identifikation werden viele Fragen regionaler Zugehörigkeit abgehandelt. D.h. die Spieler auf dem Rasen sind so etwas wie Vertreter der Fans, die einen bestimmten Stil spielen sollen, die bestimmte Erwartungen der jeweiligen Clubmythen erfüllen sollen etc.

Was auf den Rängen und was auf dem Platz geschieht, ist eine Metapher vorgestellter Gemeinsamkeit. D.h. wenn Spieler die Erwartungen erfüllen, ist es ziemlich gleichgültig, woher sie kommen, auch wenn es dafür offenere und weniger offene Teams gibt. Am wichtigsten ist natürlich der Erfolg. Wer erfolgreich spielt und Tore schießt, wird auch geliebt.
Auf der anderen Seite geht es darum, die Gegner zu verhöhnen, nicht zuletzt auch durch Schmähungen der Abstammung.

Die heutige Fankultur, Fangesänge etc. macht immer zwei Dinge: Sie stellt zum einen fest, wer wir sind und wie wir sein wollen. Und auf der anderen Seite beschimpft sie den Gegner - indem sie ihm alles zuschreibt, was man selbst nicht sein will. Man präsentiert sich selbst wahlweise als die "Guten", als die "Österreicher" und entsprechend die anderen als "FC Jugo oder den "FC Gulasch", wie sich Austria und Rapid etwa in den 80er Jahren in Fanchören wechselseitig genannt haben.
...
Am meisten Legionäre in Vorarlberg
Detail am Rande: Die "legionärreichsten" Fußballvereine des Landes sitzen im Westen. Mehr als die Hälfte aller Spieler von Austria Lustenau stammte während ihrer Bundesliga-Zeit nicht aus Österreich, bei Bregenz waren es über 36 Prozent. Auch bei Pasching, Ried und Mattersburg waren es mehr als 25 Prozent. Den geringsten Ausländeranteil in der ersten Liga hatten historisch die Wiener Klubs Sportclub und Vienna, mit je rund sieben Prozent. (Lustenau war erst in den 1990er Jahren in der Bundesliga, die Wiener Klubs waren v.a. in den Nachkriegsjahren überrepräsentiert, als es insgesamt noch weniger ausländische Spieler gab.)
...
Eine Lieblingserklärung für die Mittelmäßigkeit des österreichischen Fußballs lautet: Die vielen Ausländer sind daran schuld.

Ja, das hat eine lange Tradition. Sie reicht bis in die 1920er Jahre, als Österreichs Fußball ja sogar einmal Weltklasse gewesen ist. Ebenso einen Bart hat die Aussage: Früher war alles besser, vor allem der Fußball. Es hieß stets: Der Nachwuchs habe keine Chancen, es gebe nur drittklassige Legionäre etc.
Im österreichischen Fußball gibt es dieses seltsame Verständnis von Erfolg namens Cordoba. Wie sah es vor 1978 mit den Klagen über Legionäre aus?

Es gab mit Gründung der Bundesliga 1974 bis 1977, also ein Jahr vor Cordoba, einen Aufnahmestopp für neue Legionäre. Übrigens eine Parallele mit der Arbeitsmarktpolitik Österreichs: Im Zuge des Ölschocks 1973 hatten sich die Sozialpartner auf einen Aufnahmestopp für Gastarbeiter geeinigt.

Die Fußballer der 78er Generation sind jedenfalls sicher nicht wegen des Legionärsstopps erfolgreich gewesen. Viel eher lag es an der Einrichtung der Bundesliga mit ihren zehn Mannschaften, die sich positiv ausgewirkt hat.

Die Vereine selbst haben über den Legionärsstopp gejammert, weil dadurch die Preise für inländische Spieler stiegen und es zu wenige Spieler für Transfers gab. Umgekehrt durften auch inländische Spieler erst ab einem gewissen Alter ins Ausland. Der ÖFB etwa musste Krankl und Prohaska versprechen, dass sie nach der WM 78 ins Ausland dürfen. Im Gegenzug wurde auch wieder die Legionärsbeschränkung aufgehoben.
Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Legionäre und der Leistung des Nationalteams?

Nein, dazu reicht schon ein Blick in andere europäische Ligen, in denen der Legionärsanteil ähnlich hoch ist, und die wesentlich erfolgreichere Nationalteams haben. Oder auch der Blick auf die Geschichte des österreichischen Nationalteams: Die Rahmenbedingungen in den Jahren, in denen wir uns für die WM qualifiziert haben - 1954, 1978, 1982, 1990 bzw. 1998, waren völlig unterschiedlich. An den Legionären in Österreich lagen Erfolg oder Misserfolg jedenfalls nicht. Eher an den österreichischen Legionären im Ausland.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 10.4.08
...
Tagung in Wien
Am 11. und 12. April findet an der Universität Wien die Tagung "Migration im Europäischen Fußball" statt.
->   Programm der Tagung
...
->   FairPlay
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Linguistik in der Südkurve (13.11.07)
->   Fußball: Arena der Männlichkeit (13.6.06)
->   Warum die Politik die Nähe des Sports sucht (23.7.04)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010