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Fußball als Spiel der Geschlechterüberschreitung?  
  Wenn sich die Fußballstars ab Juni in Österreich und der Schweiz zur Europameisterschaft treffen, ist nicht nur großer Sport zu erwarten. Fußball ist immer auch etwas, das Geschlechterrollen konstruiert und zum Teil auch überschreiten lässt: Männer dürfen einander nach einem Tor kosen und herzen wie sonst kaum in der Öffentlichkeit, Frauen auf den Rängen schimpfen und fluchen wie die Männer.  
Unter dem Titel "Mann schafft. Frau spielt" geht diesen Phänomenen eine Tagung ab Dienstag in Wien nach, wie die beiden Genderforscherinnen Marlen Bidwell-Steiner und Ursula Wagner in einem Gastbeitrag berichten.
Fluchende Frauen und modebewusste Männer
Von Marlen Bidwell-Steiner und Ursula Wagner

Sport ist ein Schauplatz hochbrisanter politischer, kultureller und sozialer Interaktion. Das lässt sich aktuell nicht nur an den Diskussionen um die Olympischen Spiele in China ablesen.

Der öffentliche Raum in Österreich ist derzeit vom Medienspektakel um die EURO dominiert. Plakate, Fahnen, elektronische Countdowns stimmen auf das sportliche Großereignis ein, PolizistInnen und SozialarbeiterInnen üben den Großeinsatz.

Daneben verdeutlichen im Vorfeld einige Ausstellungen und Veranstaltungen, was alles am Spiel steht, wenn sich zweimal elf Menschen um das runde Leder raufen.

Denn als Mannschaftssport eignet sich Fußball ganz besonders, Fragen nach der Inszenierung von Identität zwischen nationaler und ethnischer Herkunft, Schichtzugehörigkeit und Geschlecht zu stellen.
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Das Zusammenspiel dieser Identitätsmerkmale steht im Zentrum der Tagung "Mann Schafft. Frau Spielt. Geschlechterkonstruktionen im Fußball", die am 15. und 16. April am Uni-Campus im Alten AKH Wien stattfindet. Veranstalter sind das Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit der FH Campus Wien und das Referat Genderforschung der Universität Wien.
->   Mehr über die Veranstaltung
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Fußball in Theorie und Praxis
Der Titel der Tagung "Mann Schafft. Frau Spielt" mag einige Menschen befremden, gilt Fußball - vor allem in Europa - doch immer noch ausschließlich als Männerdomäne. Dabei wird nicht nur die steigende Zahl kickender Frauen übersehen, sondern auch die Repräsentation von Frauen im weiteren Umfeld des Massensports: als Fans, Spielerfrauen und -mütter, Sozialarbeiterinnen.

Die Tagung geht deshalb über eine rein wissenschaftliche Auseinandersetzung hinaus: "Die Verbindung von TheoretikerInnen und PraktikerInnen lässt differenziertere Zugänge zu Fußball und Geschlechterinszenierung erwarten", erläutert eine der Initiatorinnen, Katharina Miko, das Programm.
Männer: Metrosexualität und (leichte) Homoerotik
Ein wichtiger Aspekt der Tagung wird die Unterscheidung von real agierenden Männern und Frauen sowie der symbolischen Inszenierung von Männlichkeit und Weiblichkeit sein. So arbeitet die Kanadierin Katherine Sutherland in ihrem Beitrag heraus, wie männlichen Kickern eine Vielzahl von Überschreitungen der normativen Geschlechtsrolle möglich ist.

In den Medien bekannt sind Bilder von Stars wie David Beckham, der mit seiner wechselnden Haartracht, extravagantem Schmuck und stilisierten Fingernägeln zur Ikone der Metrosexualität erkoren wurde. Ihm und anderen wird die Männlichkeit aufgrund solcher Allüren keinesfalls abgesprochen.

Auch die homoerotische Komponente des Fußballs, mit gegenseitigen Klapsen auf den Hintern und feixenden oder freudigen Umarmungen, tut dem männlichen Image dieses Sports keinen Abbruch. Nur Homosexualität bleibt in diesen Ritualen männlicher Vergemeinschaftung ein letztes Tabu, wie dies Michael Meuser in seinem Beitrag herausarbeitet.
Frauen: Das Ringen um die "richtige" Ästhetik
Sutherland argumentiert aufgrund ihrer Beobachtungen im kanadischen Frauenfußball, dass Kickerinnen weniger Freiheiten haben: Während manche "zu schön" und andere "zu dünn" für Fußball sind, müssen sich die Restlichen von vornherein mit dem Image der "Lesbe" oder "Feministin" auseinandersetzen.

Die erstrebenswerte Weiblichkeit im Sinne von Ästhetik ist mit Fußball schwer zu vereinbaren: So gelten muskulöse Waden am weiblichen Körper nicht als schön, ebenso wenig Schürfwunden oder andere Verletzungen. Auch in der Interaktion am Feld seien bei Frauen Unterwerfungsgesten zu beobachten, die dem Männerfußball fremd sind.

Der Beitrag von Karolin Heckemeyer ergänzt diese Einschätzung durch den Befund, dass kompetitives und aggressives Verhalten am Spielfeld von Frauen durch besonders feminine Inszenierungen im sonstigen öffentlichen Auftritt kompensiert werden muss, was sie an der Berichterstattung in Magazinen erläutert.

Aber auch in die Literatur hat das Themenfeld Fußball und Geschlecht Eingang gefunden. Susanne Diehr geht in ihrem Beitrag "Vom Proll zum Pop" der Männlichkeitskrise des bürgerlichen Protagonisten in Nick Hornbys "Fever Pitch" nach.
Fankulturen im Blick
In einem eigenen Panel zu Fankulturen wird demgegenüber herausgearbeitet, dass weibliche Fans gerade männlich konnotiertes Verhalten wie Fluchen und Schreien auskosten und zelebrieren und darin ihren männlichen Kollegen um nichts nachstehen.

Heidi Thaler vom Verein FairPlay wird zeigen, wie wichtig ein unvoreingenommener und achtsamer Umgang mit Ultras und anderen Fanclubs ist, um Eskalationen zu vermeiden.
Immer noch ein Spektakel der Männlichkeit
Aber auch außerhalb der Fußball-Arena sind Fans ein Thema: Die Vorbereitungen zur Fußball-WM vor zwei Jahren in Deutschland hatten eine heftige Debatte um die Affinität von Sport und Prostitution ausgelöst.

Dabei blieben negative Erwartungen von Feministinnen vielfach jedoch uneingelöst. Ob dies an den Kampagnen im Vorfeld lag oder doch einfach nur das Interesse am sportlichen Ereignis überwog, wird im Beitrag von Eva van Rahden beleuchtet.

Dass diese Frage überhaupt in den Blick kommt, verweist darauf, dass trotz vieler positiver Entwicklungen im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit das Ereignis Fußball immer noch als Spektakel von Männlichkeit wahrgenommen wird, kann in Abwandlung des Titels der Hauptrednerin, Eva Kreisky, resümiert werden.

[14.4.08]
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Über die Autorinnen
Marlen Bidwell-Steiner ist Leiterin des Referats Genderforschung, Literaturwissenschafterin und Lehrbeauftragte an der Universität Wien.
Ursula Wagner ist Mitarbeiterin am Referat Genderforschung, Kultur- und Sozialanthropologin und Lehrbeauftragte an der Universität Wien.
->   Referats Genderforschung, Uni Wien
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Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   E. Kreisky und G. Spitaler: Fußball - Arena der Männlichkeit (13.6.06)
->   Männer überkompensieren erschütterte Identität (5.8.06)
 
 
 
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01.01.2010