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Gehirn: Spätschäden durch Chemotherapie  
  Erinnerungslücken, Verschlechterung der Sehleistung oder Krämpfe - viele Krebspatienten leiden noch Jahre nach einer abgeschlossenen chemotherapeutischen Behandlung unter neurologischen Spätfolgen. Ursprünglich wurden diese auf Stress oder Depressionen zurückgeführt. Jüngere Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass die chemische Behandlung dafür verantwortlich ist. Eine aktuelle Studie hat nun zumindest einen der Mechanismen gefunden, der das Gehirn nachhaltig schädigt.  
Die Mediziner stellten fest, dass die Behandlung mit dem verbreiteten Wirkstoff 5-Fluorouracil zur Schädigungen eines bestimmten Zelltypus führt, der eine wesentliche Grundlage für zahlreiche kognitiven Funktionen darstellt.
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Der Artikel "Systemic 5-fluorouracil causes a syndrome of delayed myelin destruction in the central nervous system" von Ruaolan Han et al. ist in der aktuellen Ausgabe des "Journal of Biology" (Bd. 7, 22. April 2008) erschienen.
->   Studie (sobald online)
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Häufige kognitive Nebenwirkungen
Fast alle Krebspatienten müssen während und nach ihrer chemotherapeutischen Behandlung mit kognitiven Problemen kämpfen, häufig verschlechtert sich etwa ihr Kurzzeitgedächtnis oder sie leiden unter Konzentrationsschwäche. Die Mediziner nennen diesen Zustand, der die individuelle Lebensqualität massiv beeinträchtigt, auch "Chemo-Brain".

Tendenziell klingen diese Effekte im Lauf der Zeit wieder ab. Bei einem Teil der Patienten allerdings beginnen oder verschlimmern sich diese erst Monate später, besonders bei sehr hoch dosierten Behandlungen tritt dieses Phänomen auf.
Ungeklärte Ursachen
Angstzustände oder durch die Krankheit ausgelöste Depressionen sind laut den Forschern als Ursache dieser späten Nebenwirkungen sehr unwahrscheinlich.

Wodurch das Zentralnervensystem allerdings Schaden nimmt, war bisher unklar: die Mischung der Präparate, eine unerwünschte Immunreaktion, Entzündungen oder auch eine Schädigung der Blut-Hirn-Schranke kamen dafür in Frage.
Auswirkungen auf Zellen untersucht
Um die dahinter stehenden Prozesse besser zu verstehen, haben die Mediziner rund um Ruaolan Han vom "Noble Laboratory" an der University of Rochester nun die Wirkung des Stoffes 5-Fluorouracil untersucht. Dieser blockiert die Zellteilung und wird meist in Kombination mit anderen Mitteln bei vielen Krebsformen verwendet, unter anderem bei Darm-, Brust-, Magen- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Zuerst haben die Forscher die Auswirkungen auf unterschiedliche Zelltypen des Zentralnervensystems erhoben, wie etwa auf Stamm- oder Vorläuferzellen. Danach wurden die Ergebnisse an erwachsenen Mäusen überprüft.
Besonders betroffener Zelltyp
Dabei zeigte sich laut dem Team rund um Han, dass bestimmte Zellpopulationen Monate nach der Verabreichung schweren Schaden genommen hatten, nämlich die sogenannten Oligodendrocyten. Diese kommen ausschließlich im Zentralnervensystem vor und sind für die Produktion von Myelin verantwortlich.

Myelin ist jener Stoff, der Nervenzellen und -fasern mit einer fetthaltigen Schicht umgibt, also quasi isoliert. Die Biomembran wird immer wieder erneuert. Dies ist allerdings nicht möglich, wenn es nicht ausreichend gesunde Oligodendrocyten zur Erzeugung von Myelin gibt. Ist die Schicht beschädigt, führt das zu einer Störung in der Signalübertragung zwischen den Zellen.
Grundlage für eine systematische Untersuchung
Dies zeigte sich auch im Mäuseexperiment, nämlich anhand der Geschwindigkeit, mit welcher Informationen vom Ohr ins Gehirn weitergeleitet wurden. Die war bei den behandelten Tieren nämlich deutlich verzögert. Generell kann der Verlust von Myelin zu zahlreichen neurologischen Problemen führen, wie etwa bei der Multiplen Sklerose, bei welcher es auch zum Abbau dieser Schicht kommt.

Diese Erkenntnisse sind laut den Forschern ein wichtige Grundlage für die systematische Untersuchung von Spätfolgen. Es gebe aber noch einen großen Bedarf an Untersuchungen zu akuten und verzögerten Gehirnschäden durch Chemotherapien, um vorbeugende Maßnahmen für zukünftige Behandlungen zu entwickeln.

[science.ORF.at, 22.04.08]
->   5-Fluorouracil (Wikipedia)
->   Oligodendrozyt (Wikipedia)
->   Myelin (Wikipedia)
->   The Noble Laboratory (University of Rochester)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Chemotherapie: Hungern schützt den Körper (1.4.08)
->   Chemotherapie verändert Hirnstoffwechsel für Jahre (10.9.06)
->   Studien: Gedächtnisprobleme durch Chemotherapie (7.4.04)
 
 
 
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01.01.2010