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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Neue Medien verändern Wissenschaftssprache  
  Die Bedeutung der neuen Medien steht für die Wissenschaft außer Frage. Aber wie verändert das digitale Zeitalter ihre Sprache? Die Sprachforscherin Maria Nicolini definiert die Chancen der Digitalisierung für das wissenschaftliche Publizieren, verweist auf die Ambivalenz des Internet und ruft die Lehrenden zu mehr Hilfestellung für Studierende im Umgang mit der Sprache auf.  
Wissenschaft: Ihre Sprache, ihr digitaler Puls
Von Maria Nicolini

Auf das Papier, auf diese verschieden glattrauhen Flächen, die der schreibenden Hand mit trockenem Geräusch antworten, ihr dieses Echo der Berührung genau an den Berührstellen anvertrauen, kehrt die wissenschaftliche Schreibhand nicht mehr zurück.

Jene "Abwicklung", von der Rainer Maria Rilke spricht und die die "Linien der Innenhand" weiterzieht in die graphit-silbernen oder tintigen Linien auf Papier, muss die heutige Schreibhand nicht leisten.
Handschrift als höchstes Maß
Und "wussten Sie, dass das Schreiben das höchste Maß an nervlichen Fähigkeiten und Muskelbeherrschung verlangt? Selbst die Stickerin und sogar die Chirurgin, die unter dem Mikroskop operiert, knüpfen noch sehr grobschlächtige Verbindungen im Vergleich mit den unendlich feinen Knoten und Schlingen der Schrift; sie haben die Hände an harten Dingen, während die Hand, die schreibt, bereits an das sanfte Zeichen rührt.

Dieses Band ist so locker, dass es fast einem anderen Reich angehört. Der reine Tastsinn öffnet den Weg zur Information, dem sanften Korrelat dessen, was man früher einmal den Verstand nannte."
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Enquete "Wissenschaft ab ins Netz?"
In Kooperation mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (bmwf) veranstaltet die Wissenschaftsredaktion von Radio Österreich 1 am 14. Mai 2008 um 17 Uhr im RadioKulturCafe (Argentinierstraße 30a, 1040 Wien) eine Enquete zum Thema. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren Probleme und Chancen der Qualitätssicherung des wissenschaftlichen Publizierens im Kontext der Digitalisierung. Der Eintritt ist frei.
->   Initiative "Sprechen Sie Wissenschaft?"
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Schnell, global, oft anonym
Internet, PC, moderne Präsentationstechnologien veränderten nicht nur die Formen wissenschaftlicher Kommunikation; sie geben der Wissenschaft eine digital bestimmte Identität: schnell, global, oft anonym.

Digitale Medien öffnen die Welt für den schnellen Tausch wissenschaftlicher Daten, für internationalen Diskurs und kooperativen Wissensgewinn. In Sekunden kann Wissenschaft mühelos um die Welt, kostenlos vervielfältigt.
Motor eines Kulturwandels
Die Bedeutung der neuen Medien steht nicht nur für die Wissenschaft außer Frage. Sie sind die absolute Infrastruktur des gesellschaftlichen Lebens. Diese Infrastruktur hat nirgendshin eine Grenze: Grenzenlos lässt sie sich miniaturisieren, grenzenlos in die Größe treiben.

Sie ist auch nicht bloß Hardware, sondern zugleich auch Software, die die Kommunikation qualitativ verändert. Und nicht nur die Kommunikation, sondern die Kultur schlechthin. Die digitalen Medien sind das Movens eines solitären Kulturwandels in der Geschichte der Menschheit.
Vogelfrei im Internet?
Die Publikationen, die ins Internet gestellt werden, sind urheberrechtlich ungenügend geschützt, werden in den Äther entlassen - vogelfrei? Kann man dem Äther vertrauen? Die Seriosität des Netzes ist nicht erwiesen, und der längerfristige Bestand der Dokumente ist ungeklärt.

Wer ist das Netz? Hat das Netz eine Verantwortung, eine Ethik? Zu solchen Fragen kommen jene, die tiefer liegende Momente der Sprache betreffen: Die Schnelligkeit des Internet stellt sich gegen das Bedächtige, gegen die Ruhe - ohne die ein guter Text nicht gelingen kann.
Schnelligkeit verändert Texte
"Was wir Weg nennen", sagt Franz Kafka, "ist Zögern". Zögern ist der medialen Schnelligkeit nicht gewachsen. Die Schnelligkeit verändert den Sprachgestus, damit ändert sich der Sprachgebrauch, ändern sich die Texte.

Diese Vorgänge laufen uns vornweg, wir laufen ihnen hinterher, klagen über schlechte Texte der Studierenden, tabuisieren aber die Probleme, werden zu Strafenden, wenn wir etwa Plagiate aufdecken.
Neue Medien und Sprachkompetenz
Der Schlüssel, der die Chancen der Digitalisierung für die wissenschaftliche Sprache nutzbar macht, hat den Namen Sprach- und Schreibkompetenz. Wer einen guten wissenschaftlichen Text schreiben kann, in welchem Medium auch immer, wer in der wissenschaftlichen Sprache beheimatet ist, die Kriterien eines wissenschaftlichen Textes kennt und zu handhaben versteht, wird auch in den neuen Medien gute Texte schreiben, gute Texte finden und verstehen.

Gewiss verlangt das Schreiben im Netz auch spezielle Fähigkeiten, etwa zur Herstellung netzspezifischer Textsorten, zur netzgebundenen Textrezeption und Textvernetzung.
Hilfestellung beim Publizieren
Und wenn wir uns in der akademischen Lehre dem Thema Text und Sprache widmen - und das müssen wir - dann sollten wir den Studierenden auch unsere eigenen Texte in die Hand geben, sollten ihnen zeigen, wie wir zu schreiben versuchen, wo die Probleme liegen, wie wir sie lösen, wie wir an ein Thema herangehen, es gliedern, in die Tiefe führen.

Wir sollten ihnen sagen, wie wir im Schreiben Entscheidungen treffen. Nur über den Text zu diskutieren , genügt nicht, wir müssen in die Sprache gehen , in die Satz- und Textarchitektur, vom Detail in die große Form und retour und bis in das Wort und bis in die feinen Unterschiede; und nicht, weil wir es als Lehrende so viel besser wissen, sondern, um uns mit dem eigenen Text den unzähligen Fragen der Studierenden zu stellen.
Unbegrenzte Reichweite
Schreiben ist mühsam, doch aus der Mühe kommt die Freude: die Energie, aus der sich ein guter Text formt - verständlich, präzise, interessant.

Das Thema Sprache der Wissenschaft verlangt dauernde Aufmerksamkeit: in der Wissenschaft und Forschung, in der Bildungspolitik, in der Öffentlichkeit. Mit den digitalen Medien erhält wissenschaftliches Wissen unbegrenzte Reichweite. Ob es in der sozialen Wirklichkeit auch ankommt, entscheidet sich in der Sprache.

[28.4.08]
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Über die Autorin
Maria Nicolini ist Professorin an der Universität Klagenfurt, Fakultät für interdisziplinäre Forschung. Schwerpunkte ihrer Arbeit: Nachhaltigkeitsforschung, Klangökologie, Wissenschaft und Sprache.
->   Maria Nicolini (Uni Klagenfurt)
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->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010