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Mathematik lernen: Abstraktion sticht  
  Rote und blaue Kugeln in einem Sack - ein Klassiker der Mathe-Didaktik, Kapitel Wahrscheinlichkeitsrechnung. Eine Studie zeigt nun: Allzu konkrete Beispiel könnten für den Unterricht kontraproduktiv sein.  
Zwei Wege, ein Ziel
 
Bild: Jennifer Kaminski et al./Science

"Lang ist der Weg durch Belehrungen, kurz und wirksam durch Beispiele", lesen wir bei Seneca - und stimmen ihm intuitiv zu. Jennifer Kaminski von der Ohio State University wollte es nun genau wissen und hat die Sache im Experiment überprüft. Dabei stellte sie 80 Studenten ein einfaches Regelsystem vor, das nur aus drei Symbolen bestand. Einer Gruppe davon in Form einer Symbolsprache, einer anderen anhand eines konkreten Beispiels.

In obiger Abbildung sieht man den Unterschied zwischen den beiden Vorgehensweisen: Rechts werden die Regeln als das Auffüllen eines Gefäßes dargestellt, schüttet man beispielsweise ein Drittel und ein Drittel zusammen, ergibt das zwei Drittel. Zwei plus zwei Drittel ergibt deren vier, nachdem in der Wasserschüsselwelt jedoch alle vollen Gefäße ignoriert werden, bleibt ein Drittel übrig. Links ist das gleiche Regelwerk ohne "Fleisch" dargestellt, d.h. nur mit abstrakten Symbolen.
Abstraktion erleichtert Übertragung
Kaminski stellte zunächst zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede fest, beide lernten das Prinzip in etwa gleich schnell, spätere Tests in der erlernten Sprache fielen ebenfalls gleich gut aus. Das Bild änderte sich jedoch, als die Studenten das Erlernte nun auf eine neue Situation (eine Sprache mit Vasen als Symbolen) anwenden mussten. Hier hatten die Studenten aus der abstrakten Gruppe plötzlich klar die Nase vorn.

Daraus kann man schließen: Konkrete Beispiele mögen vielleicht motivierend und anschaulich sein, aber sie blockieren möglicherweise die Übertragung des erlernten Prinzips auf andere Beispiele. Folgt daraus, dass der ideale Unterricht möglichst beides beinhalten sollte - Konkretes und Abstraktes?

Kaminski überprüfte auch das und ließ zwei Gruppen gegeneinander antreten. Die eine lernte mathematisches Wissen ausschließlich abstrakt, die andere auf beide Arten. Der Vergleich zeigte: Wieder waren die Studenten aus der abstrakten Gruppe besser. Was die Folgerungen aus ihrer Untersuchung betrifft, sind die drei US-Forscher allerdings vorsichtig. Bunte Beispiele ganz aus dem Mathe-Unterricht verbannen wollen sie jedenfalls nicht. "Wir weisen nur darauf hin: Wenn man Mathematik sehr stark an konkrete Kontexte bindet, kann das ihre Anwendbarkeit beeinträchtigen" (Science, Bd. 320, S. 454).

Robert Czepel, science.ORF.at, 25.4.08
->   Ohio State University
 
 
 
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01.01.2010