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Auch "höhere" Intelligenz lässt sich trainieren  
  Das Lösen neuer Probleme und sinnvolles Schlussfolgern zählen Psychologen zu den wenig beeinflussbaren Teilen der menschlichen Intelligenz. Dabei sind sie maßgeblich für unseren Erfolg in Beruf und in der Schule. Einer neuen Studie zufolge soll sich ein gezieltes Gedächtnistraining nun doch positiv auf diese "höheren" Fähigkeiten auswirken.  
In ihrem mehrwöchigen Experiment konnten die Schweizer und US-Psychologen einen bisher nicht belegten Transfer zwischen scheinbar unabhängigen kognitiven Leistungen nachweisen. Demnach hätten auch weniger Intelligente die Möglichkeit, mit einfachen Mitteln ihre Grundfähigkeiten zu verbessern.
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Die Studie "Improving fluid intelligences with training on working memory" von Susanne M. Jaeggi et al. ist am 28. April in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (Bd.106, DOI: 10.1073/pnas.0801268105) erschienen.
->   Studie
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Intelligenz ist kaum beeinflussbar
Die Mehrheit der Psychologen geht davon aus, dass manche Teile der Intelligenz kaum auf Ausbildung und Sozialisation reagieren und vermutlich zu einem großen Teil angeboren sind. "Fluide" Intelligenz hat sie Raymond Bernard Cattell genannt. Gemeint sind unter anderem jene Fähigkeiten, die uns erlauben, auch gänzlich neue Aufgaben zu analysieren und zu lösen.

Die messbare Leistung lässt sich zwar steigern, indem man die dafür entworfenen Tests öfters durchführt. Es konnte allerdings gezeigt werden, dass dieses Einüben die Aussagekraft derartiger Prüfungen deutlich schwächt. Die Aufgaben sind dann nicht mehr wirklich neu und beanspruchen folglich nicht mehr dieselben Gehirnfunktionen .

Auch aus der Psychopharmakologie gibt es bisher keinerlei Erfolgsmeldungen. "Smart drugs" könnten zwar laut den Autoren der aktuellen Studie isolierte kognitive Leistungen steigern, Auswirkungen auf die "fluide" Intelligenz ließen sich aber noch keine nachweisen. Ebenso hat man keinen Beleg für den Effekt "intelligenzsteigernder" Computer- oder Videospiele gefunden.
Wirkung abseits des reinen "Einübungseffekts"
Generell deuten die meisten Forschungsergebnisse darauf hin, dass man zwar durch Training gezielt die Leistung bei bestimmten Aufgaben verbessern kann, dieser Lerneffekt sich aber kaum auf andere Bereiche auswirkt. Genau diese Transferleistung stand im Mittelpunkt der aktuellen Studie.

Das Ziel der Forscher rund um Susanne Jaeggi von der Universität Bern war nun zweierlei: Zum einen eine Aufgabe zu finden, die Prozesse beansprucht, die auch bei "höheren" Problemlösungsfähigkeiten zum Einsatz kommen. Zum anderen sollte sich diese aber ausreichend von derartigen Tests unterscheiden, um einen reinen "Einübungseffekt" zu vermeiden.

Sie entschieden sich für ein Training des Arbeitsgedächtnisses, das bei anspruchsvollen Problemlösungsaufgaben eine Rolle spielt. Denn beim Nachdenken und Schlussfolgern muss man auch eine möglichst große Anzahl von Elementen und Relationen im Kopf behalten.
Ein anstrengender Merktest wird laufend verändert
In der Folge entwarfen die Psychologen einen einigermaßen anstrengenden Merktest. Dabei wurden den Teilnehmern gleichzeitig zwei Serien von Reizen präsentiert, die miteinander in Beziehung standen und sich laufend veränderten.

Die vier Testgruppen durchliefen variable Trainingszeiten, zwischen acht und 19 Sitzungen. Am Ende hatte sich bei allen Teilnehmern die Leistung des Arbeitsgedächtnisses stark verbessert.
Training führt zu Steigerung der Intelligenz
Vor und nach dem Training mussten sowohl die Trainingsteilnehmer als auch die Kontrollgruppe einen Test ihrer "fluiden" Intelligenz ablegen. Die Steigerung bei den Trainingsgruppen war dabei signifikant, und zwar umso deutlicher, je häufiger sie trainiert hatten. Wobei die Studienautoren einräumen, dass unklar sei, wie weit sich dieser Effekt tatsächlich steigern lasse.

Der Fortschritt war laut den Forschern auch weitgehend unabhängig von der zu Beginn gemessenen Intelligenz, tendenziell haben jedoch die Teilnehmer mit schlechteren Anfangswerten etwas mehr von den Übungen profitiert.

Auch in der Kontrollgruppe war eine Steigerung messbar - vermutlich eine Folge des wiederholten Tests, aber die Verbesserung bei der trainierten Gruppe war wesentlich höher.

Wie lang die Wirkung des Trainings anhält, ist noch nicht untersucht. Dennoch könnten die Ergebnisse nach Ansicht der Wissenschaftler die Grundlage für zukünftige Anwendungen - vor allem in der Ausbildung - liefern.

[science.ORF.at, 29.04.08]
->   Fluid and crystallized intelligence (Wikipedia)
->   Raymond Bernard Cattell
->   Susanne Jaeggi
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   "Gehirndoping" unter Wissenschaftlern weit verbreitet (9.4.08)
->   Neurofilter fördert das Gedächtnis (10.12.07)
->   Intelligenz-Gene mit schwacher Wirkung (29.11.07)
 
 
 
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01.01.2010