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Bipolare Störung: Kippfiguren werden anders gesehen  
  "Kippfiguren" wie der Neckerwürfel und die Rubinvase heißen deswegen so, weil deren Wahrnehmung von einer Lösung zur anderen "kippt". Bei Menschen mit einer bipolaren Störung läuft dieser Prozess deutlich langsamer ab - vermutlich deshalb, weil ihre Gehirnhälften nicht ausreichend kommunizieren.  
Hase oder Ente?

Die "Philosophischen Untersuchungen" von Ludwig Wittgenstein sind nicht gerade wegen ihres Bilderreichtums in die Geschichte der Philosophie eingegangen, eine unscheinbare Abbildung darin hat es dennoch zu einiger Berühmtheit gebracht. Was sehen wir auf ihr - einen Hasen oder eine Ente? Natürlich beides. Wittgenstein wies darauf hin, dass wir "einmal als das eine, einmal als das andere Ding sehen. - Wir deuten sie also, und sehen sie, wie wir sie deuten."

Anders ausgedrückt: Wahrnehmung ist kein passiver Vorgang, der die Welt lediglich abbildet, Wahrnehmung ist vielmehr aktiv, sie erzeugt die Gestalt der Dinge. Interessanter Weise ist die Rate, mit denen Kippfiguren zwischen zwei möglichen Lösungen hin- und herspringen, nicht bei allen Menschen gleich.

Die beiden australischen Psychologen John Pettigrew und Steven Miller fanden vor zehn Jahren heraus, dass Patienten mit bipolaren Störungen eher bei einem der beiden Bilder "hängenbleiben" als gesunde Menschen. Sie vermuteten, dass das neurologische Ursachen hat.

Sowohl die bipolare Störung als auch die träge Wahrnehmung von Kippfiguren, habe mit einer gebremsten Umschaltrate zwischen den Hirnhälften zu tun, schrieben die beiden in den "Proceedings of the Royal Society" (Bd. 265, S. 2141).
Tiefenwirkung der Bewegung
Seitdem wurden einige Versuche in dieser Angelegenheit angestellt, einige haben die Hypothese der beiden im Wesentlichen bestätigt, beispielsweise solche mit dem berühmten, "springenden" Neckerwürfel und der Rubinvase, die sich nach längerem Hinsehen als Silhouette zweier Gesichter entpuppt - oder umgekehrt.

Neu hinzugekommen ist nun eine Überprüfung mit einem besonders spektakulären Vertreter der Kippfiguren, im Fachjargon bekannt als "structure from motion".

Ein schönes Beispiel dafür kann man sich auf der preisgekrönten Website des deutschen Forschers Michael Bach ansehen: Die Bewegung einzelner Punkte wird vom Betrachter als rotierende Kugel interpretiert, in welche Richtung sich die Kugel zunächst dreht, ist zwar nicht unbedingt dem Zufall, aber dem Nervensystem überlassen.
Fast-Bestätigung mit rotierendem Zylinder
Ein Team um Kristine Krug von der University of Oxford hat nun eine ganz ähnliche Figur verwendet, nur mit dem Unterschied, dass sie zylinderförmig war.

Tests mit 50 Probanden (25 Kranke, 25 als Kontrollgruppe) zeigten auch hier: Diejenigen mit einer bipolaren Störung verweilten mit durchschnittlich 42 Sekunden deutlich länger bei einer Bilddeutung, die Testpersonen aus der Kontrollgruppe schalteten bereits nach 33 Sekunden auf die alternative Interpretation um.

Ein Schönheitsfehler ist allerdings, dass der Unterschied wegen zu großer Streuung der Werte nicht unbedingt für die klinische Praxis geeignet ist. Mögliche Tests auf bipolare Störungen sollten daher besser den guten alten Neckerwürfel verwenden. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der "Proceedings of the Royal Society" erschienen (doi:10.1098/rspb.2008.0043).

Robert Czepel, science.ORF.at, 7.5.08
->   Kristine Krug
->   Kippfigur - Wikipedia
->   Bipolare Störung - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010