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Die Zukunft von Cyberscience  
  Die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens ist digital: Michael Nentwich, Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA), skizziert die Chancen des Open Access, die Vorteile von Online-Peer-Reviews im Internet und die Qualitätskontrolle im Zeitalter der Cyber-Wissenschaft.  
Cyberscience. Standortbestimmung
Von Michael Nentwich

Cyber-Wissenschaft - das ist, was die Wissenschaftler im Cyberspace tun, also in jenem virtuellen Raum, der aus viel WWW, Datenbanken, e-Mail-Verkehr, elektronischen Konferenzräumen, Groupware-Tools und elektronischen Publikationen besteht. Das digitale Publizieren, ein Kernbereich der Cyberscience, ist drauf und dran, die Kommunikation der Forscher untereinander und mit der interessierten Öffentlichkeit fundamental zu verändern.
Nicht alle Texte online
Praktisch alle wissenschaftlichen Publikationen sind bereits im Netz. Vor ein paar Jahren war es noch Zukunftsmusik, heute kann man davon ausgehen, dass es kaum mehr wissenschaftliche Texte gibt, die nicht elektronisch entstehen ("born digital") und im Internet verfügbar sind. Drei wichtige Einschränkungen gibt es (noch):
(1) Es gibt einige Fächer, bei denen es noch größere Lücken gibt (etwa bei manchen geisteswissenschaftlichen Themen); aber auch hier ist der Trend eindeutig.

(2) "Im Internet verfügbar" heißt nicht unbedingt "frei zugänglich". Zwar bieten mehr oder weniger alle Verlage ihre Zeitschriften nicht mehr nur gedruckt, sondern eben auch online an, aber die Zugriffsmöglichkeit hängt davon ab, ob man selbst oder die eigene Institution die oft hohen Abonnementgebühren entrichtet.
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Open Access
Diese Zugangshürden sind Gegenstand intensiven Tauziehens zwischen den großen kommerziellen Verlagen und den wissenschaftlichen Institutionen (Universitätsbibliotheken, Forschungsförderer, Forschungsträger, Fachgesellschaften).

Zwei Wege werden diskutiert, wie ein offener, freier Zugang realisiert werden könnte: der "grüne Weg" - alle Forscher laden eine Kopie ihrer Artikel auf offene Archivierungsserver - und der "goldene" Weg - die Zeitschriften selbst sind offen zugänglich und finanzieren sich nicht über Abonnementzahlungen, sondern auf anderen Wegen, sei es durch Subventionen oder durch Zahlungen der Autorenseite pro Artikel.
->   Plädoyer für Open Access
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Bücher zum Download
(3) Bei ganzen Büchern ist die Online-Verfügbarkeit noch die Ausnahme. Allerdings kursieren in der Regel Vorfassungen ("Preprints") oder auch Kopien einzelner veröffentlichter Kapitel ("Postprints") im Internet. Dass ganze Bücher zum Download an- oder feilgeboten werden, kommt allerdings ebenfalls immer öfters vor.

Es lässt sich also festhalten: Die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens ist digital. Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass für einige Textsorten, insbesondere Zeitschriftenartikel, Dissertationen und etwa Konferenz-Sammelbände, die Zukunft sogar rein digital sein wird, es also gar keine Papierversionen geben wird.
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Enquete
In Kooperation mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (bmwf) veranstaltet die Wissenschaftsredaktion von Radio Österreich 1 am 14. Mai 2008 um 17 Uhr im RadioKulturCafe (Argentinierstraße 30a, 1040 Wien) eine Enquete zum Thema. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren Probleme, Möglichkeiten und Chancen der Qualitätssicherung des wissenschaftlichen Publizierens im Kontext der Digitalisierung. Der Eintritt ist frei.
->   Initiative "Sprechen Sie Wissenschaft?"
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Innovative Publikationsformen
Cyberscience geht aber noch weit darüber hinaus, einfach nur die traditionellen wissenschaftlichen Zeitschriften ab sofort elektronisch zu publizieren. Vielmehr eröffnet das Internet die Möglichkeit, eine Reihe attraktiver neuer Publikationsmodelle zu entwickeln und zu testen.

So kann eine rein digitale Zeitschrift Artikel "am laufenden Band" publizieren, muss also nicht die nächste Zeitschriftenausgabe, in der noch Platz ist, abwarten und ist damit viel aktueller. Weiters gibt es innovative Zeitschriften, die ohne die neuen digitalen Möglichkeiten gar nicht verwirklichbar wären.
"Lebendige" Zeitschriften
Beispielsweise halten "lebendige" Zeitschriften ("Living Reviews") ihre Überblicksartikel ständig aktuell, indem die Autoren verpflichtet werden, ihre Texte in regelmäßigen Abständen zu ergänzen beziehungsweise sogar neu zu schreiben.

Schließlich eröffnet das Internet im Gegenzug zum Papier die Möglichkeit, Publikationen als Hypertexte (also als Netz von miteinander verbundenen Textbausteinen) zu organisieren. Auch das Einfügen von Multimedia-Elementen (insb. Ton und Film) ist in vielen empirisch ausgerichteten Fächern sehr attraktiv.
->   Die Zukunft der wissenschaftlichen Zeitschrift
Peer Review 2.0
Zusätzlich zu den vielen traditionellen Varianten akademischer Qualitätskontrolle (insbesondere Peer Review - also der zumeist anonymen Begutachtung durch von der Redaktion ausgewählte Fachkollegen), gibt es zahlreiche neue Möglichkeiten, die vielleicht zu einem neuen System der Qualitätskontrolle führen werden.

Bei Open-peer-review-Verfahren wird der Artikel bereits vor der Veröffentlichung angekündigt, auf den Server der Zeitschrift hochgeladen und ist für alle einsehbar und kommentierbar. Nach dieser offenen Begutachtungsphase wird der Artikel überarbeitet und dann erst veröffentlicht.
Online Qualitätsbeurteilung
Im Gegensatz zu gedruckten Publikationen, bei denen man nur indirekt etwas über die Aufnahme durch andere Wissenschaftler erfährt (etwa darüber, wie oft ein Artikel zitiert wurde), kann im Cyberspace auch im Nachhinein die Qualitätsbeurteilung fortgesetzt werden, etwa durch Kommentierungen, die mit dem digitalen Text verknüpft sind oder durch Bewertungen (vergleichbar mit Online-Shops wie Amazon). All dies steckt nicht mehr in den Kinderschuhen, ist aber noch nicht weit verbreitet.
Cyber-Wissenschaft entfaltet sich
Auch wenn man sich noch viele weitere innovative "Cybertools" vorstellen kann - und an Visionen mangelt es nicht - wir sind schon angelangt: Cyberscience findet statt, tagtäglich. Kaum ein Wissenschaftler, der nicht ständig im Cyberspace ist, die Kommunikation per e-Mail oder Skype abwickelt, im Internet recherchiert oder digitale Bibliotheken durchforstet. Bald wird in der Wissenschaft hauptsächlich elektronisch publiziert werden und die Artikel von morgen werden in vielen Fällen anders aussehen, als ihre Vorfahren in der Papierwelt.

Und die Qualitätskontrolle wird im Zeitalter der Cyber-Wissenschaft vermutlich innovativer, umfassender, transparenter und vermutlich viel kommunikativer sein als wir es gewohnt sind. All dies wird selbstverständlich auch einen Einfluss darauf haben, was und wie geforscht wird, was dabei herauskommt und was die Öffentlichkeit von der Forschung mitbekommt. Spannende Zeiten.

[13.5.08]
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Über den Autor
Michael Nentwich ist seit 2006 Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Er hat sich als Jurist, Politikwissenschafter, Technik- und Wissenschaftsforscher unter anderem intensiv mit den Auswirkungen des Internets auf die Wissenschaften beschäftigt.
->   Michael Nentwich - ÖAW
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Mehr zum Thema Cyberscience:
->   Cyberscience-Projekt der ÖAW
->   Cyberscience - Links
->   Cyberscience - Das Buch
->   Living Reviews
Mehr zum Thema Open Access in science.ORF.at:
->   FWF und Open Access
->   Open Access als Qualitätskriterium
->   Creative Access
->   Wissenschaft zur freien Entnahme
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010