News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Die Wissenschaft spricht englisch - aber nicht nur  
  Englisch ist heute die dominante Wissenschaftssprache: Das gilt mit einiger Verzögerung auch für Österreich. Christoph Kratky, Präsident des Wissenschaftsfonds (FWF) und Falk Reckling, Abteilungsleiter für Geistes- und Sozialwissenschaften des FWF beschreiben in einem Gastbeitrag die Etappen, die zu diesem Ist-Zustand geführt haben. Sie halten die Entwicklung für unumkehrbar, glauben aber, dass auch die Nationalsprachen weiter wichtig bleiben für die Wissenschaftsvermittlung - denn nur ihnen könne es gelingen, die komplexen Resultate der Forschung in Alltagssprache zu übersetzen.  
Deutsch als Wissenschaftssprache
Von Falk Reckling und Christoph Kratky

Bis zu Beginn der Aufklärung war die Sprache der Wissenschaft des Abendlandes zweifellos Latein, welches im 18. und 19. Jahrhundert kontinuierlich durch die Nationalsprachen ersetzt wurde.

Während die Zahl der für die Wissenschaftskommunikation relevanten Sprachen immer begrenzt war, gab es bis zum zweiten Weltkrieg keine wirklich dominante Wissenschaftssprache - noch vor weniger als 100 Jahren war in vielen Gebieten Lesefähigkeiten des Englischen, Deutschen und Französischen Voraussetzung für eine erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit.
Dominanz des Englischen
In den letzten Jahrzehnten hat sich das in den meisten Disziplinen radikal geändert und zu einer Dominanz des Englischen geführt. Sosehr man das mit Recht als unfairen Wettbewerbsnachteil und als Kulturverlust beklagen mag, ist es mehr als zweifelhaft, ob sich dieser globale Trend aufhalten oder gar umkehren lässt und ob eine wie immer geartete Mehrsprachigkeit eine praktikable und realistische Alternative darstellt.

Bis ins 19. Jahrhundert war der Beruf des Wissenschaftlers beschränkt auf eine sehr kleine Gruppe adliger und bürgerlicher Eliten. Der zu verarbeitende Kanon in den Wissenschaften war noch überschaubar und die wissenschaftlichen Aktivitäten konzentrierten sich auf einige wenige Zentren in der westlichen Welt.
...
Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative
...
Kleinster gemeinsamer Nenner
Das hat sich spätestens nach 1945 radikal verändert. Durch zunehmende Technologisierung und Globalisierung und die damit einhergehende Bildungsexplosion ist der Anteil an Wissenschaftlern enorm angestiegen. Die Fachdisziplinen haben sich immer weiter ausdifferenziert und die Menge und Komplexität des Wissens hat exponenziell zugenommen.

Schließlich verlieren die traditionellen Zentren der Wissenschaften schrittweise gegenüber anderen Regionen an Boden, und es hat sich in vielen Disziplinen ein weltweiter Arbeitsmarkt herausgebildet. All dies hat dazu geführt, dass sich das Englische als kleinster gemeinsamer Nenner der Kommunikation in den Wissenschaften etabliert hat.
Deutsch moralisch entwertet
Dieser Trend wurde nicht zuletzt dadurch beschleunigt, dass in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts ein bedeutender Teil der europäischen Wissenschaftselite gezwungen wurde, in angelsächsische Länder zu emigrieren. Damit wurde das Deutsche nicht nur quantitativ, sondern zum Teil auch moralisch als Wissenschaftssprache entwertet.

Noch entscheidender als die erzwungene war wohl die "freiwillige Migration". Die Attraktivität der angelsächsischen Forschungsstätten haben Generationen von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt angezogen und damit auch deren Sprachverhalten in den Wissenschaften maßgeblich geformt.
Nachteil durch andere Sprachen
Aus diesen Entwicklungen folgt nicht nur eine fast zwingende Notwendigkeit zum Englischen, es erscheint auch als einzig praktikable Variante, wenn Kommunikation über die kulturellen oder gar fachdisziplinären Grenzen hinweg möglich sein soll. Dass unter diesen Bedingungen alle anderen Sprachen einen Nachteil haben, ist evident.

Doch realistischerweise kann ein Forscher unter den heutigen Bedingungen noch nicht einmal annähernd die Mehrsprachigkeit erreichen, die notwendig wäre, um nur einen Bruchteil auch nur der großen Sprachen abdecken zu können.
Englischsprachige FWF-Anträge
Der FWF hat dieser Entwicklung vor gut 15 Jahren Rechnung getragen, indem er nicht nur seine Begutachtung ausschließlich im Ausland durchführt, sondern zu diesem Zweck auch fast ausschließlich englischsprachige Anträge einholt. Zwar gibt es immer noch Ausnahmen in den Geisteswissenschaften, aber auch hier sind mittlerweile gut 75 Prozent der Anträge in englischer Sprache verfasst.

Vergleiche mit sehr erfolgreichen, kleineren Wissenschaftsnationen wie den Niederlanden und den skandinavischen Ländern zeigen, dass diese für den deutschen Sprachraum revolutionäre Umstellung eigentlich schon früher hätte erfolgen müssen.
Höherer Wahrnehmungsgrad
Die Niederlande und die skandinavischen Länder waren bis zum Zweiten Weltkrieg sehr stark dem deutschen Sprachraum verbunden, haben dann aber sehr schnell auf das Englische als Wissenschaftssprache umgestellt.

Der damit erzielt höhere Wahrnehmungsgrad war auch ein Grund für den enormen internationalen Erfolg dieser Länder. Österreich hat diese Entwicklung, wie beispielhaft die Daten von ISI Web of Science im Vergleich zu Schweden zeigen, erst in den letzten beiden Jahrzehnten nachvollzogen.
Sprachen österreichischer und schwedischer Fachartikel
 


Quelle: ISI Web Science
Mehrsprachigkeit methodisch notwendig
Nun wird vor allem von den Geisteswissenschaften und Teilen der Sozialwissenschaften immer wieder argumentiert, dass den nationalstaatlichen Diskursen und Thematiken in ihren Fachbereichen eine weitaus größere Bedeutung zukommt als in den Naturwissenschaften, und dass Mehrsprachigkeit daher oft ein methodische Notwendigkeit sei. Beide Argumente sind nicht zu bestreiten.

Gleichwohl sollte das nicht daran hindern, zumindest die wichtigsten Forschungsresultate auch vermehrt in englischer Sprache zu publizieren. Denn nur das wird der Garant dafür sein, dass diese Disziplinen über die eigenen engen Fach- und Landesgrenzen hinaus anschlussfähig bleiben.

Die Notwendigkeit zur Publikation in Englisch gilt natürlich ganz besonders für junge Wissenschaftler, die noch um ihre wissenschaftliche Karriere kämpfen müssen.
Nationalsprache für Vermittlung
Englisch wird also auf absehbare Zeit in der hoch spezialisierten internen Wissenschaftskommunikation dominant bleiben, ja diese Dominanz noch weiter ausbauen. Allerdings kommt den Nationalsprachen bei der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Gesellschaft eine zunehmend größere Bedeutung zu.

Wissenschaftler können sich heute nicht mehr nur ausschließlich auf den reinen Erkenntnisgewinn beschränken, sie müssen ihre Forschung auch gegenüber der (auch kritischen) Gesellschaft, der Politik oder der Wirtschaft rechtfertigen und dabei hochkomplexe Erkenntnisse in eine allgemein verständliche Sprache übersetzen.

Dieser Diskussionsprozess vollzieht sich notwendigerweise in der Nationalsprache, der damit auch weiterhin für wissenschaftliche Kommunikation eine bedeutende Rolle zukommt.

[19.5.08]
...
Über die Autoren:
Christoph Kratky ist Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF)

Falk Reckling ist Leiter der Abteilung für Geistes- und Sozialwissenschaften im FWF
->   Wissenschaftsfonds
...
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010