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Mut zur Lücke in der Wissenschaftsvermittlung  
  Gute Wissenschaftskommunikation ist eine Frage der Kompromissbereitschaft. Die Vermittlung von wissenschaftlichen Inhalten an Laien verlangt einen Grenzgang zwischen fachlicher Präzision und guter Verständlichkeit. Der Zellbiologe und PR-Berater Till C. Jelitto beschreibt im Zuge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft?" einige Aspekte dieser Gratwanderung. Er fordert mehr Mut zur Lücke in der Wissenschaftskommunikation.  
Sprechen Sie Wissenschaft? Ja, ich spreche!
Von Till C. Jelitto

Ja, ich spreche Wissenschaft - und das mit doppelter Zunge. Der Zunge eines akademischen Wissenschaftlers und professionellen Science Communicators. Als Zellbiologe habe ich über sieben Jahre in den Bereichen Enzymregulation und zelluläre Ionengleichgewichte geforscht.

Als PR-Manager forsche ich seit nunmehr sieben Jahren weniger und "publiziere" gemeinsam mit meinem Team dafür umso mehr. Insgesamt über 175 Pressemeldungen zu einer breiten Auswahl wissenschaftlicher Themen aus Österreich, die weltweit in mehr als 5.000 Berichterstattungen resultierten.
Technical Terms als Hürde
Zu unseren Aufgaben zählt es, die Sprache der Wissenschaft in die Sprache der Medien zu übersetzen - soweit es denn die "Sprache der Wissenschaft" überhaupt gibt. Denn existiert die "Sprache der Wissenschaft" nicht genauso wenig - oder viel - wie die Sprache der Technik, Politik, Sportler, Jugend, Senioren oder sonstiger Interessensgruppen? JEDE dieser Gruppen kommuniziert untereinander mittels Verwendung von intern verstandenen Technical Terms in effizienter Weise. Das ist keine eigene Sprache, sondern einfach nur sinnvoll.

Dieser effiziente Sprachgebrauch der Wissenschaftler wird auf Grund zweier Tatsachen stärker wahrgenommen als von anderen Gruppierungen. Zum einen hat die Wissenschaft eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung und zum anderen kommunizieren Wissenschaftler einfach viel. Davon lebt die Wissenschaft!
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Schwerpunkt
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Für Laien schwer verständlich
Neben dem persönlichen Gespräch sind dabei Fachveröffentlichungen, Konferenzbeiträge und Präsentationen die häufigste - und damit verfügbarste - Form der Kommunikation. Gedacht für die Scientific Community. Nicht vorgesehen für Journalisten oder die breite Öffentlichkeit.

Wenn diese für Laien schwer verständliche Art der Information aber diesen wissenschaftsfernen Gruppen angeboten wird, dann hat das wenig mit Kommunikations-Inkompetenz und viel mit Zeitmangel oder Prioritäten der Wissenschaftler zu tun. Diese arbeiten und investieren für den Nobelpreis - nicht für den Pulitzer!

Alles andere - auch die Aufbereitung von Information für neue Dialoggruppen - ist Gefälligkeit, Eigeninitiative oder der Aufbau alternativer Karrieren. Somit erscheint es legitim, dass auf verfügbare Info - eben Vorhandenes - zurückgegriffen wird.
Anspruch der Präzision
Wer Hintergrundinfo, Präzision und Neuigkeiten erwartet - wie dies wissenschaftliche Kollegen beispielsweise tun -, ist mit dieser Art von Info exzellent bedient. Fachveröffentlichungen berichten ausschließlich über neueste Erkenntnisse, deren wissenschaftliche Bedeutung mittels Hintergrundinfo dargelegt wird.

Was das Lesen selbst für Fachleute wie mich mühsam macht, sind die Präzision der Angaben und die Technical Terms . Die Präzision der Angaben dient der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Die Technical Terms - Fachausdrücke - reduzieren den Informationsgehalt und erlauben die Konzentration aufs Wesentliche, auf das Neue. Ein Anspruch, den Journalisten durchaus selbst kennen.
Fachbegriffe vermeiden
Presseinformationen stellen schlussendlich keine anderen Anforderungen als Fachveröffentlichungen: Hintergrundinfo, Präzision und Neuigkeitswert sind hier ebenso gefragt. Was den stilistischen - und nicht linguistischen - Unterschied ausmacht, sind die Anforderung an Präzision, die geringer ausfallen kann, weil keine Reproduzierbarkeit möglich sein muss, und das Vermeiden von Technical Terms .

Letzteres bringt uns manchmal in ein Dilemma. Dort wo Technisches erklärt werden muss, ist weniger Platz für Neuigkeiten. Diese Balance zwischen technischer Information und Neuigkeit zu wahren - und mit den Wissenschaftlern abzustimmen - zeichnet gute Public Relations für Wissenschaft aus.
Verständlichkeit verlangt
Wer bei dieser Abstimmung die Ehrlichkeit besitzt, Wissenschaftlern zu sagen: "Das verstehe ich alles nicht", wird überrascht sein! Wenn Wissenschaftler etwas verstehen können, dann die Tatsache, dass Außenstehende ihre Arbeit eben nicht unbedingt verstehen. Forschende wissen, dass sie ein umfassendes Wissen in winzigen Spezialgebieten haben, das nur wenige teilen.

Tatsächlich wage ich auf Grundlage eigener Erfahrungen in Labors in Deutschland, Schottland, England und Österreich zu behaupten, dass sich gerade Wissenschaftler im Klaren darüber sind, dass ihr Fachwissen nur für wenige verständlich ist. Bei jeder größeren Konferenz, jedem Institutsseminar und jedem Workshop werden sie mit dieser Tatsache konfrontiert - in Form von Kollegen aus anderen Spezialgebieten.
Inhaltliche Balance entscheidend
Und nichts sensibilisiert in der Kommunikation mit Kollegen nachhaltiger als ein Hörsaal voller Peers , der nach einem Vortrag mit leeren Gesichtausdrücken und Totenstille angefüllt ist! Kein Verständnis = keine Fragen = keine Kommunikation = keine Karriere.

Das Wissen um dieses Faktum macht es uns als PR-Experten leichter, mit Wissenschaftlern zu kooperieren. Denn alles, was es braucht, ist die Wissenschaftler daran zu erinnern, dass sie Spezialwissen besitzen - immer wieder.
Nicht in Details verlieren
Der Wille, die eigene Arbeit der Öffentlichkeit vorzustellen, ist genauso vorhanden wie das Verständnis für das Unverständnis anderer Dialoggruppen.

Was zum Teil fehlt, ist die Erfahrung, eine Balance zwischen technischer Information und Neuigkeit zu finden. Es gilt, ein korrektes Bild der wissenschaftlichen Realität zu zeichnen, ohne die Aufmerksamkeit der Informations-Konsumenten durch Detailinformation zu verlieren.

[26.5.08]
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Über den Autor:
Till C. Jelitto ist promovierter Zellbiologe mit langjähriger wissenschaftlicher Erfahrung und Gründer der PR-Agentur "PR&D - Public Relations für Forschung & Bildung". Jelitto ist außerdem Lektor für Forschungsmarketing an der Universität Wien und der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig.
->   Agentur
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->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010