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Marktlogik: Auch die Liebe wird flexibel  
  Wie spricht man über die Liebe, wenn sie buchstäblich "Geschichte" ist? Die Wiener Philosophin Alexandra Kofler ist dieser Frage nachgegangen und hat dazu mit 20 Männern und Frauen biografische Interviews über die Partnerschaften ihres Lebens geführt.  
Dabei ist sie auf ein Erzählmuster gestoßen, das besonders häufig vorkam und das sie "Konversion" nennt. Die Lebensgeschichte wird dabei von einem biographischen Nullpunkt aus neu entworfen. Oft ist es eine Trennung, von der aus ein ganz neues Leben angefangen werden kann. Und muss.

Kofler meint, dass dies einem gesellschaftlichen Forderungskatalog entspricht, in dem Werte wie Veränderbarkeit und Flexibilität ganz oben stehen. Dahinter steckt nicht zuletzt eine Logik des Marktes, die sich mittlerweile auch in die Sicht auf das eigene Leben und Lieben eingeschrieben hat.
science.ORF.at: Wie sind Sie zu Ihrem Thema gekommen?

Alexandra Kofler: Mein Ausgangspunkt war Paul Ricoeurs Theorie der Narrativität und verschiedene Ansätze der Biographieforschung. Zentral war für mich die Frage, wie man sich dem theoretischen Begriff der Identität auch praktisch nähern kann.

Von da ausgehend habe ich die Studie entworfen und Interviewpartner und -partnerinnen gesucht. Mir ging es darum, das alltagssprachliche Erzählen als eine Praxis der Identitätskonstruktion in den Blick zu bekommen. Dass Liebe dabei zentral ist, war zu diesem Zeitpunkt noch eine Vermutung.
Ein Hauptmuster, das Sie bei Ihren Interviews angetroffen haben, ist jenes der Konversion - worin besteht es?

Konversionen unterstellen, dass sich die Identität einer Person radikal wandeln kann. Diese Idee kommt eigentlich aus dem religiösen Kontext. Wenn man von einer Religion in eine andere konvertiert, wandelt sich die Identität.

Dieses Muster wird von den Leuten in ihren Erzählungen nicht ausdrücklich benannt, es ist aber die Form, die ihren Geschichten zugrunde liegt. Sie wurde von den meisten Personen benutzt, unabhängig vom Alter und sozialen Milieu.

Wendepunkte gibt es anscheinend in jeder Lebensphase und das ist zugleich Ausdruck einer allgemeinen Lebenslage: die Trennung des Lebens in verschiedene Abschnitte und die Schwierigkeit, die eigene Identität mit ihren Wendepunkten und Neuanfängen noch als Ganzes zu fassen.
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Vortrag in Wien
Alexandra Kofler hält am Montag, 9. Juni 2008, 18 Uhr c.t. den Vortrag "Wenn die Liebe zur Geschichte wird ... Narrative Identität in Selbsterzählungen".
Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Mehr über die Veranstaltung (IFK)
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Wo liegen diese Wendepunkte in den Biographien?

Das kann durchaus unterschiedlich sein. Bei meinen Interviews aber häufig dort, wo eine Trennung passiert. Die entscheidende Wende besteht dann z.B. darin, ein anderes Beziehungsmodell zu versuchen.

Bei einer Interviewpartnerin war es so, dass die erste Beziehung samt zweier Kinder noch nach einem romantischen Ideal konstruiert war, die folgenden Partnerschaften aber nach ganz anderem Muster.

Da ging es dann weniger um Liebe im engeren Sinn, als um eine Art "Vertragspartnerschaft". Sie bezeichnete diese Beziehungen selbst als "Projekte", in denen jeder eine bestimmte Rolle ausfüllt - etwa die Vaterrolle.
Die Konversion liegt also im Abrücken vom romantischen Ideal?

Für mich ist vor allem interessant, dass überhaupt solche Wendepunkte markiert werden und dass die Kategorie "Veränderung" so wichtig ist. Dahinter steckt meines Erachtens der Umstand, dass biografische Wandlungsfähigkeit sozial enorm anerkannt ist. Nur wer sich hochflexibel und dramatisch veränderbar erzählen kann, kann auch mit einer bestimmten sozialen Anerkennung rechnen.

Im Gegensatz dazu stehen Elemente wie Beständigkeit, die als unflexibel gelten und weniger anerkannt sind. Es gibt heute die Anforderung, das eigene Leben als ständig Veränderbares und Flexibles wahrzunehmen.

Eine Idee, die nicht zuletzt aus dem Bereich der Arbeitswelt stammt. Hier hat sich eine gewisse Marktlogik in den Blick auf das eigene Leben und auf Beziehungen bereits eingeschrieben.
Und funktioniert dieser Markt der Beziehungen?

Natürlich scheitern Menschen immer wieder daran, sich ständig neu erfinden zu müssen. Dieser Anspruch ist letztlich nicht einlösbar. Wie man auch an dem Beispielfall sieht, werden Beziehungen ständig wieder aufgegeben und durch neue ersetzt, und die sind nicht auf Dauer angelegt, sondern eben kurzfristig.
Haben Sie in Ihren Interviews ein Bedauern gespürt, dass die romantische Liebe zunehmend verloren geht?

Das würde ich so nicht sagen. Die Idee, dass Liebe möglich ist, wird nicht aufgegeben, das macht die Figur der Konversion auch so interessant. Sie macht es möglich zu sagen: Ok, die Beziehung ist gescheitert, aber damit identifiziere ich mich nicht mehr und dadurch werde ich wieder frei.

Das Scheitern der Liebe wird nicht verallgemeinert, sondern aus der Lebensgeschichte sozusagen herausgelöst und in den nächsten Beziehungen wieder als mögliches Konzept angelegt.
Geschieht das bewusst?

Die Interviewten sehen das selbst nicht als ihre ausdrücklichen Projekte, es ist sozusagen die Logik, der ihre Geschichten folgen. Die Erzählfigur der Konversion erzeugt eine enorme Dramatik, eine Polarität zwischen einem alten Ich, das ausgeblendet wird, und einem neuen Ich. Metaphern werden verwendet wie: "Ich wurde ein neuer Mensch" oder " die Neugeburt des Ich".

Diese Erzählfigur unterstellt, dass es einen biographischen Nullpunkt gibt, von dem aus man sich völlig neu entwerfen kann. Zugleich fungiert sie aber auch als Brückenschlag, denn wenn ich mich wirklich so neu erfunden hätte, könnte ich mich kaum an ein Davor erinnern.

Unter der Voraussetzung, dass gegenwärtige Biographien durch immer mehr Brüche und Trennungen gekennzeichnet sind, braucht es die individuelle Leistung, diesen Brüchen Sinn zu geben. So wird ein roter Faden gelegt, der erklärt, wie ich mich aus der vergangenen Person zur Gegenwärtigen entwickelt habe.
Gibt es noch andere Erzählmuster, die Sie bei ihren Interviews wiederholt angetroffen haben?

Ja, zum Beispiel die Figur des biografischen Reifungsprozesses. Thema der Lebensgeschichte ist dabei eine langsame Entwicklung des Ich, mit einem gewissen Ziel, auf das es sich hinbewegt. Meistens ist das Ziel die Familiengründung, das Settlement nach einem jugendlichen Entwicklungsprozess.

Und dann gibt es noch etwas, das ich "vermittelnde Sinnstiftung" nennen würde - eine Form der Lebensgeschichte, wo das Leben als Verlauf, ohne genaue Zielvorstellung gedacht wird. Eine Erzählung, in der sich für die Person das Geheimnis des Lebens nur langsam erschließt, wo die Menschen von Mächten getrieben werden, die sie nicht wirklich beeinflussen können.
Wenn man sich beruflich mit dem Thema Liebe beschäftigt, beeinflusst einen das selbst?

Mir geht es ja eigentlich weniger um eine Geschichte der Liebe, sondern darum, wie die Praxis des Erzählens Identität konstruiert. Das öffnet den Blick dafür, welche Möglichkeiten es gibt, das eigene Leben zu erzählen.

Neben den Gefahren des kulturellen Imperativs einer andauernden Selbsterfindung haben mir die Gespräche vor allem auch gezeigt, wie stark das Bedürfnis vieler Menschen ist, sich immer wieder von neuem ihrer Identität und Geschichte versichern zu müssen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 6.6.08
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Alexandra Kofler studierte Philosophie und Geschichte in Wien. Derzeit ist sie Doktorandin am Institut für Philosophie an der Universität Wien und Junior Fellow am IFK Wien.
->   Alexandra Kofler, IFK
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01.01.2010