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Holocaust: Die Kinder der Verfolgten leiden weiter  
  70 Jahre nach 1938 leiden die direkt von der Verfolgung durch die Nationalsozialisten Betroffenen noch immer. Oft haben sie ihre Traumata aber auch an ihre Kinder weitergegeben.  
Es ist unklar, ob nicht auch noch die Enkel der Holocaust-Augenzeugen Zeichen einer Traumatisierung entwickeln.

Auf diesen Umstand machte jetzt David Vyssoki, Ärztlicher Leiter des psychosozialen Zentrums ESRA in Wien aufmerksam.
Weitergabe von Traumata
Seit vielen Jahren ist es Allgemeingut, dass die Opfer, zum überwiegenden Teil jüdischer Abstammung, in vielen Fällen ein Leben lang an den psychischen Folgen des Erlittenen leiden. Sie entwickeln eine posttraumatische Belastungsreaktion, die unbehandelt zu schwersten Symptomen führen kann, die sprichwörtlich kein Ende nehmen.

Erst in jüngerer Zeit richtete sich die Aufmerksamkeit aber auch auf die Nachkommen der NS-Opfer. Vyssoki: "Man spricht von transgenerationeller Traumatisierung, wenn in der ersten Generation das Trauma nicht verarbeitet wurde und daher eine Transmission in die nächste, ja übernächste Generation stattfindet. Ein wesentlicher Motor dieser Entwicklung ist die Weitergabe des 'schuldhaften Überlebensgefühls'."
Kinder leisten Trauerarbeit für die Eltern
In das psychosoziale Zentrum kommen die Nachfahren der Holocaust-Generation oft wegen Problemen in der Partnerschaft und infolge von depressiven Verstimmungen. Der Grund für diese Schwierigkeiten liegt oft darin, dass die Elterngeneration über das Erlittene nicht ausreichend sprach. Die Kinder leisten schließlich Trauerarbeit für die Verfolgungsgeschichte der Eltern.

Der Psychiater: "Wesentliche Schritte der Therapie sind hier das Erlauben und Abschließen der Trauerarbeit, die Loslösung vom Schicksal der Eltern, die Neudefinition der eigenen Person im historischen und gegenwärtigen Kontext und die Zustimmung zum recht auf ein eigenes glückliches Leben."
Was ist mit nächster Generation?
Wie es weitergeht, ist noch ungewiss. Vyssoki: "Trotz vieler Studien und intensiver Bemühungen um die Betroffenen und deren Nachkommen wissen wir aber noch nicht, ob diese unglaubliche Traumatransmission nicht sogar bis in die Generation der Enkel weitergehen wird.

Das scheint jedenfalls überall dort möglich, wo Kinder die Verhaltensmuster ihrer Eltern in der Nichtaufarbeitung kopieren und nicht erlernt haben, mit dem traumatischen Erbe unabhängig umzugehen."

[science.ORF.at/APA, 29.5.08]
->   Psychosoziales Zentrum ESRA
->   science.ORF.at-Archiv zum Thema Holocaust
 
 
 
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01.01.2010