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"Gleiche" Gesellschaften: Mädchen rechnen gleich gut  
  Mädchen sind in Mathematik schlechter als Buben, während sie im Lesen besser sind. Die Gründe für diese vielfach beobachteten Unterschiede werden heiß diskutiert: Haben die Geschlechter "von Natur aus" unterschiedliche Begabungen? Oder sind sie das Ergebnis einer gesellschaftlichen Prägung? Laut einer neuen Studie stimmt Letzteres zumindest für die Mathematik: In "gleichen" Gesellschaften schließen die Mädchen beim Rechnen zu den Burschen auf.  
Beim Lesen hatte mehr Gleichberechtigung allerdings den Effekt, dass sich die Kluft zwischen Schülerinnen und Schülern zusätzlich vergrößerte, also die Mädchen noch besser wurden, berichtet ein internationales Forscherteam.
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Die Studie "Culture, Gender, and Math" ist am 30. Mai 2008 im "Education Forum" von "Science" erschienen (Band 320, S. 1164f, DOI:10.1126/science.1154094).
->   Zum Abstract
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Ist die Gesellschaft "schuld" ...
In Österreich waren zuletzt bei den Aufnahmetests zum Medizin-Studium die scheinbar mangelnden mathematischen Fähigkeiten von Frauen in Diskussion geraten.

Kürzlich wurde eine Studie präsentiert, in der die Schuld dafür vor allem dem Schulunterricht gegeben wurde: Mädchen würden mehr für Anpassung und unauffälligen Fleiß gelobt, Burschen hingegen mehr gefordert.
->   Mehr zu dieser Studie in science.ORF.at
... oder die Biologie?
Der Suche nach gesellschaftlichen Umständen, die Begabungen von Mädchen und Buben unterschiedlich formen, steht seit jeher der Blick auf die Biologie gegenüber:

Männer schneiden besser bei räumlichen Tests ab, Frauen hingegen bei sprachlichen Kompetenzen, und das alles habe seinen Grund in der geschlechtsspezifischen Gehirnstruktur, so die - verknappte - Erklärung.
PISA- und Gender-Daten
Die Forscher um Paola Sapienza von der Kellog School of Management (Northwestern University, Illinois) gingen an die Fragestellung pragmatisch heran: Sie nahmen aus den PISA-Ergebnissen von 40 Ländern jene Daten, die Mathematik- und Lesefähigkeiten betrafen und setzten sie mit Zahlen in Beziehung, die über Gleich- bzw. Ungleichheit zwischen den Geschlechtern Auskunft gaben.

Konkret waren das der Gender Gap Index (GGI) des Weltwirtschaftsforums sowie Angaben zu Berufstätigkeit und politischer Partizipation von Frauen.
->   Gender Gap Index (Weltwirtschaftsforum)
Gleichberechtigung und Mathematik
In der Analyse zeigte sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Gleichberechtigung und der Mathematik-Performance der Mädchen: Türkische Mädchen etwa schnitten im Vergleich zu ihren Klassenkollegen um fast ein Viertel schlechter ab.

Würde man aber den Gender Gap Index der Türkei, der sehr gering ist (d.h. die Kluft zwischen Männern und Frauen ist sehr groß), an jenen von Schweden angleichen, wären die Mädchen - rein statistisch - gleich gut in Mathematik wie die Buben.
Österreich im Mittelfeld
 
Bild: Science

In Ländern mit fortgeschrittener gesellschaftlicher Gleichberechtigung rechnen die Geschlechter nahezu gleich gut: In Schweden ließ sich anhand des PISA-Tests beinahe kein Unterschied ausmachen, in Island sind die Mädchen sogar besser als die Buben (siehe Bild oben).

Österreich rangiert laut Studie im Mittelfeld: Mittelmäßige Gleichberechtigung der Geschlechter geht Hand in Hand mit mittelmäßigen Mathematik-Fähigkeit der Schülerinnen.
Lesen: Kluft verschwindet nicht
Anders verhält es sich aber beim Lesen: Denn hier führt generelle Gleichberechtigung nicht zum Verschwinden der Geschlechterkluft, im Gegenteil: In Norwegen, Schweden und Island schlagen die Schülerinnen ihre männlichen Kollegen um Längen.

Die endgültige Antwort auf die Frage, ob unterschiedliche Begabungen von Natur aus existieren oder kulturell geformt sind, kann also auch diese Studie nicht geben. Sie liefert aber Hinweise, dass das gesellschaftliche Umfeld zumindest in Einzelbereichen scheinbar grundlegende Differenzen auszugleichen vermag.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 29.5.08
->   Paola Sapienza
->   Das Stichwort "PISA" im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010