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Versuche mit Xenon-Ketchup  
  Manche Flüssigkeiten haben eine eigenartige Eigenschaft: Mal sind sie zäh, im nächsten Moment sind sie dünnflüssig. US-Physiker haben diesen Effekt nun näher untersucht - mit Hilfe von Überresten der Raumfähre Columbia .  
Ketchup, Motoröl und Farbe
Dass Flüssigkeiten nicht in jeder Situation die gleiche innere Reibung aufweisen, ist an sich klassische Alltagsphysik. Wenn wir etwa die Ketchupflasche schütteln, machen wir uns diesen Effekt zu Nutze, der im Englischen "shear thinning" (wörtlich: "Scherverdünnung") heißt: Das Schütteln überträgt Scherkräfte auf das Ketchup, verändert seine innere Struktur und macht aus der dicken Paste kurzfristig eine rinnende Sauce.

Beispiele dafür gibt es auch aus anderen Bereichen. In Motoren kann es etwa vorkommen, dass die Bewegung der Bauteile die Viskosität (das physikalische Maß für Zähflüssigkeit) mancher Zusatzstoffe herabsetzt - was dem Motor schadet. Erwünscht ist der Effekt hingegen bei Wandfarbe. Solange sie auf der Rolle bzw. dem Pinsel haftet, ist sie zäh und tropft nicht.

Die Bewegung beim Rollen/Pinseln macht sie hingegen flüssiger, somit lässt sie sich relativ leicht auftragen. Auf der Wand kehrt die Farbe glücklicherweise wieder in ihren trägen Zustand zurück.
Xenon als Modell
 
Bild: NASA

Die für den Effekt verantwortlichen Kräfte und Bindungen zwischen den Bestandteilen sind zwar bekannt, was man bis dato aber noch nicht bei der Hand hat, ist eine allgemeine Theorie, die die Veränderung der Viskosität für eine gegebene Substanz voraussagt. Genau das wäre aber für die Entwicklung neuer Materialien sehr praktisch.

Aus diesem Grund haben Physiker in den 90er-Jahren mit den so genannten CVX-Experimenten ("Critical Viscosity of Xenon") begonnen, bei denen man sich das "shear thinning" beim Element Xenon genauer angesehen hat. An sich neigt Xenon gar nicht zu diesem Verhalten, aber unter besonderen Temperatur- und Druckverhältnissen, dem so genannten kritischen Punkt, sollte der Effekt auch bei dem Edelgas auftreten.

Der lässt sich allerdings nur messen, wenn das Gas bzw. die Flüssigkeit (was am kritischen Punkt das Gleiche ist) nicht komprimiert wird. Daher muss man entsprechende Versuche möglichst in Schwerelosigkeit durchführen (Bild oben).
Geräte mit Columbia abgestürzt
 
Bild: NASA

Robert Berg vom National Institute for Technology and Standards hat 2003 zu diesem Zweck eine Xenon-Apparatur auf eine Reise der Raumfähre Columbia geschickt. Sie brach bekanntlich beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auseinander, alle sieben Besatzungsmitglieder kamen bei der Katastrophe ums Leben. Vom Space Shuttle und den darin befindlichen Geräten blieben nur verkohlte Fragmente übrig und verteilten sich über hunderte Kilometer auf die Bundesstaaten Texas und Louisiana.

Bemerkenswerter Weise blieb die mit Xenon gefüllte Reaktionskammer intakt, sodass kein einziges der Atome daraus entwich. Noch wichtiger ist, dass das Notfallteam der NASA auch die CVX-Festplatte (Bild oben) fand, die später von einer Spezialfirma so weit in Schuss gebracht wurde, dass man die Versuchsdaten wieder lesen konnte.

So wurde doch noch etwas aus der geplanten Publikation, Robert Berg hat die entsprechende Studie kürzlich im Fachjournal "Physical Review E" (Bd. 77, S. 041116) veröffentlicht. Die am vergleichsweise einfach gestrickten Xenon gewonnenen Daten sollen nun den Weg zur lang gesuchten Ketchup-Theorie weisen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 6.6.08
->   Strukturviskosität - Wikipedia
->   National Institute for Technology and Standards
 
 
 
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01.01.2010