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Euro 2008: Ein Medienspektakel  
  Am 7. Juni pfeift der Schiri das erste Spiel der Euro 2008 an, und Millionen von Zusehern vor den TV-Geräten werden glauben, einer Sportveranstaltung beizuwohnen. Das stimmt so nicht, meint der Kultursoziologe Roman Horak. Fußball ist seiner Meinung nach ein Medienspektakel, das industrietaugliche Missverständnisse produziert. Etwa die Annahme, dass Fußball Freude bereiten solle, oder die Versprechung, dass uns die Spiele Schönheit und Fairness ins Wohnzimmer bringen würden.  
Über Fußball
Von Roman Horak

Die Annahme, dass Fußball Freude bereiten soll, basiert auf einem kulturindustriell vermittelten Missverständnis. Gedacht als Gegenargument zur (bildungs)bürgerlichen Zurückweisung des Spiels als "Proletensport" geht eine solche Sichtweise doch am Kern der Sache vorbei. Als besonderes popularkulturelles Massenspektakel lebt der Fußball zu aller erst und wesentlich von der uneingeschränkten, ja bornierten Parteilichkeit derer, die nicht bloß das Spiel, sondern eine bestimmte Mannschaft lieben - und damit von deren Leidensfähigkeit.
Propaganda für Konsumenten
Bereits vor mehr als drei Jahrzehnten hat der englische Kultursoziologe Chas Critcher die vage bestimmte Gesamtmenge der so genannten Fußballinteressierten in die Subkategorien der Angehörigen, der Kunden und der Konsumenten differenziert.

Erstere verstehen sich als Teil einer historisch gewachsenen Kultur, die sich in der Mannschaft manifestiert, der sie anhängen, zweitere gustieren gelegentlich das, was sie ein gutes Spiel nennen, für letztere schließlich bedeutet Fußball nicht mehr als eines von den vielen möglichen Unterhaltungsangeboten, die gegebenen Falls Anlass zur kontrollierten Exaltiertheit/Exaltierung bieten.

Hingedacht auf die Niederungen der österreichischen Fußballwirklichkeit - wir bleiben auf der Ebene der Bundesliga - fänden sich die Angehörigen beispielsweise bei Traditionsvereinen wie dem SK Rapid und die Konsumenten gewiss idealtypisch bei Red Bull Salzburg. Die Propagandisten von massenmedialen Großinszenierungen wie die bevorstehende Fußballeuropameisterschaft, zielen vordringlich auf die versammelte Klientel der Kunden und Konsumenten.

Mit ihren Versprechungen von fairen und schönen Spielen mögen sie diese zu täuschen im Stande sein, all jene, die wissen, dass Fußball eine sich ständig wiederholende Passionsgeschichte mit wenigen Momenten der (vorübergehenden) Erlösung erzählt, können sie nicht täuschen.
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Tagung am IFK
Am 6. Juni findet die Tagung "Mehr als ein Spiel. Der Fußball und seine Geschichten" statt.
Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien; Beginn: 9.30
->   Programm und Abstracts
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Atavismen vs. Vermarktung
Mit der Euro 2008 in der Schweiz und Österreich wird es wieder einmal deutlich: Fußball ist zwar auch ein modern-atavistisches Sportspiel, aber viel eher ein globales Medienspektakel. Wer in diesen Tagen einen Blick in die diversen Zeitschriften und Hochglanzmagazine wirft oder durch die TV-Kanäle zappt, dem wird nicht entgehen können, dass hier mehr auf dem Spiel steht, als Verlust oder Gewinn nationaler Ehre via Fußball.

Gewiss ist dies ein wichtiger Faktor, der nicht unterschätzt werden sollte, andererseits haben wir es mit einem globalen Spektakel mit global vermarkteten Stars zu tun, die nicht mehr simpel national kodiert sind. David Beckhams seinerzeitiger Wechsel zu Real Madrid zum Beispiel war wohl weniger dessen fußballerischem Können als seinem Appeal als Quasi-Popstar auf dem ostasiatischen Markt geschuldet.
Dennoch: Die lokale Kraft bleibt
Spätestens seit dem so genannten Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofes (1995), das die Freizügigkeit der Arbeitskraft Fußballspieler neu regelte, ist die Anzahl der Spieler, die bei einem Verein ihrer eigenen Nationalität spielen dramatisch gesunken.

Arsenal London tritt z.B. immer wieder ohne einen einzigen englischen Spieler an. Selbst im fußballerisch eher unbedeutsamen Österreich pflegt der artifizielle Klub Red Bull Salzburg eine solche Praxis.

Angesichts dieser Entwicklungen scheint es müßig, die Frage nach der möglichen regionalen Bedeutung des Fußballs in der Gegenwart auch nur zu stellen. Und doch wäre es eine ziemliche Unterschätzung der atavistischen Kraft dieses Spiels, seine massenmediale Seite allzu schnell für das Ganze zu nehmen. Immer noch wird Fußball in seinen lokalen und regionalen Artikulationen als ein Moment politischer und kultureller Identitätsbildungsprozesse wirksam.

[5.6.08]
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Zum Autor
Roman Horak ist Leiter der Abteilung Kunst- und Kultursoziologie am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften, Kunstpädagogik an der Universität für angewandte Kunst Wien. Seit 1998 ist er Mitglied des internationalen Beirats der Zeitschrift "Cultural Studies". Gemeinsam mit Wolfgang Maderthaner konzipierte er die am IFK stattfindende Tagung "Mehr als ein Spiel. Der Fußball und seine Geschichten".
->   Abteilung für Kunst- und Kultursoziologie
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01.01.2010