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Umstrittene Therapie: Kinder mit drei Eltern  
  Kinder könnten vor schweren Erbkrankheiten geschützt werden, sofern man sie bereits im Stadium der Eizelle behandelt. Die mögliche Therapie sieht jedoch vor, dass sie dann drei genetische Eltern hätten. Kritiker meinen, dieser Ansatz führe geradewegs zum Designer-Baby.  
Bereits Realität
Die Vorstellung, dass es Kinder mit drei Eltern geben könnte, mag für die meisten äußerst irreal klingen. Tatsache ist aber, dass es solche Menschen bereits gibt. In den 1990er Jahren entwickelte der US-Forscher Jacques Cohen eine neue Technik, mit der er unfruchtbare Frauen behandelte. Ziel der Technik war, offenbar schadhafte Mitochondrien dieser Frauen durch Zugabe von fremdem Zellplasma zu kompensieren - und so die Fruchtbarkeit der Eizelle zu erhöhen.

Die Methode war erfolgreich und führte tatsächlich zur Geburt mehrerer Kinder. Die Sache hat allerdings einen Haken: Mitochondrien sind nicht nur für die Zellatmung und den zellulären Energiehaushalt verantwortlich, sie haben auch ihr eigenes Erbgut und vermehren sich selbständig. Daher sind in einer dergestalt manipulierten Eizelle Gene von drei Personen vorhanden: Im Zellkern jene von Mutter und Vater, im Zellplasma die Mitochondrien-Gene von der Mutter sowie der Spenderin.

Wie genau sich die Kombination dieser Gene auswirkt, war nach Ansicht der US-Food and Drug Administration (FDA) noch nicht hinreichend geklärt, sie verbot daraufhin Cohens Methode.
Heilung von Mitochondrien-Störungen
Nun schicken sich erneut Forscher an, Menschen mit drei genetischen Eltern zu erzeugen. Diesmal geht es allerdings um die Behandlung von schweren Krankheiten, die auf Störungen der Mitochondrien zurückgehen.

Beispiele für solche Mitochondriopathien, wie diese Erkrankungen auch genannt werden, sind etwa das Leigh-Syndrom, das mit Atem- und Schluckbeschwerden sowie geistiger Behinderung verbunden ist und unter Umständen zum Tod führen kann. Das sogenannte MELAS-Syndrom verursacht Stoffwechselprobleme, Taubheit und Schlaganfälle, Patienten des Kearns-Sayre-Syndroms wiederum leiden an krankhaften Veränderungen der Netzhaut und des Herzmuskels.
Hilfe vs. Risiko
All diese Krankheiten möchten Patrick Chinnery und Douglas Turnbull von der Newcastle University aus der Welt schaffen. Ihre Methode setzt direkt bei der Vererbung von Mitochondrien-Defekten an, die fast vollständig über die mütterliche Linie erfolgt (Spermien besitzen nämlich nur ganz wenige Mitochondrien, die noch dazu bei der Befruchtung aktiv zerstört werden.)

Die Idee klingt einfach: Man nehme eine befruchtete Eizelle der Patientin und transferiere den Zellkern in eine zuvor entkernte Spendereizelle. Auf diese Weise könnte man alle schadhaften Mitochondrien loswerden - und mit ihnen die zum Teil tragischen Pathologien. Jonathan Van Blerkom, ein Entwicklungsbiologe, der im FDA-Komitee saß, als die Cohen-Methode verboten wurde, gesteht diesem Ansatz interessanterweise "enormes Potenzial" zu. Gegenüber der Zeitschrift "New Scientist" (7. Juni, S. 38) sagt er sogar: "Es wäre kriminell, diese Methode zu verbieten."

Allerdings sind noch viele medizinische Probleme ungelöst. So weiß man beispielsweise nicht, ob beim Transfer des Zellkerns nicht doch auch ein paar schadhafte Mitochondrien in die neue Zelle gelangen, sich dort munter weitervermehren und unter Umständen Generationen später zum Wiederauftreten der vermeintlich kurierten Krankheit führen.
Ethische Fragzeichen
Und dann gibt es freilich noch ethischen Diskussionsbedarf. Will man überhaupt Kinder mit drei genetischen Eltern in die Welt setzen? Gelangt man hier auf einen Weg, der unsere Gesellschaft direkt zum Designer-Baby führt? Letzteres wird meist von solchen Ethikern bejaht, die gerne sogenannte Slippery-Slope-Argumente verwenden. Gegner dieser Einstellung verweisen hingegen darauf, dass man klare Kriterien für bioethische Entscheidungen benötige - und nicht nebulose Dammbruchszenarien.
Die Methusalem-Mutation
Auch wenn sich derartige Therapien als zu riskant erweisen sollten, könnte die Mitochondrien-Forschung dennoch für unsere Gesundheit langfristig äußerst wichtig sein. Japanische Wissenschaftler fanden etwa vor einigen Jahren heraus, dass die Mehrzahl der Über-Hundertjährigen ihres Landes eine simple Mutation in ihrem Mitochondrien-Erbgut tragen.

Die Erklärung dafür könnte sein, dass Mitochondrien eben nicht nur in am Zellstoffwechsel beteiligt sind, sondern auch am programmierten Zelltod, der etwa bei Krebs und Alzheimer eine entscheidende Rolle spielt. Die schlechte Nachricht ist allerdings: Die Mutation ist außerhalb von Japan äußerst selten.

[science.ORF.at, 5.6.08]
 
 
 
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01.01.2010