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Physik benötigt Kommunikationstraining  
  Physik und verständliche Wissensvermittlung schließen sich aus? Keineswegs. Die Zukunft dafür sieht der Physiker Bernhard Weingartner in professionellen Kommunikationstrainings. Ausgehend vom Beispiel einer britischen Physik-Show, die auf Worte verzichtet und sich auf Körpersprache beschränkt, beleuchtet der FameLab-Gewinner 2008 Wissenschaftskommunikation im Spannungsfeld zwischen Allgemeinverständlichkeit und effizienter Fachsprache.  
Sprachlose Physik?
Von Bernhard Weingartner

Die britische Truppe "Science Made Simple" wagt das Experiment, alle sprachlichen Elemente aus einer ihrer preisgekrönten Shows zur Wissenschaftsdemonstration zu entfernen. Daraus entsteht "Visualise", eine eindrucksvolle Mischung aus Körpertheater und Clownerie, die ein breites Publikum zur Auseinandersetzung mit Wissenschaft inspirieren will.

Die zwei Figuren auf der Bühne zeigen mit teils einfachsten Requisiten, wie viel anspruchsvolle Physik im Alltag steckt. Und sie helfen mit, die Phänomene zu begreifen.
Von der Muttersprache unabhängig
Bild: Science Made Simple
Ausschnitt aus "Visualise"
Die Show ist ein Extrembeispiel für Wissenschaftskommunikation von maximaler Allgemeinverständlichkeit. Der Erkenntnisgewinn jedes und jeder einzelnen im Publikum hängt natürlich von subjektiven Faktoren wie Altersgruppe, Bildungsstand, kulturellem Hintergrund und Vertrautheit mit den präsentierten Requisiten ab.

Er ist aber unabhängig von der Muttersprache. Die Qualität des transportierten Inhalts wird nicht durch unzureichende Fremdsprachenbeherrschung oder Übersetzungsmängel beeinträchtigt.

Im Prinzip kann diese Form der Wissenschaftskommunikation die gesamte Weltbevölkerung in gleicher Weise erreichen.
Interne Kommunikation der Fach-Community
Am anderen Ende des Spektrums der Verständlichkeit steht die interne Fachkommunikation, die nur für einen sehr kleinen Kreis qualifizierter Personen zugänglich ist. Wie formulieren etwa Physiker eine zu untersuchende Fragestellung und wie verständigen sie sich darüber mit Projektpartnern?

Die Alltagssprache bietet eine Fülle von Mehrdeutigkeiten, Interpretationsspielräumen und unlogischen Elementen. Witz, Ironie und Sprachspielereien werden dadurch erst möglich. Zur Formulierung komplexer physikalischer Zusammenhänge ist sie aber kaum geeignet.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Die Initiative
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Lösungsstrategien in der Mathematik
Die Mathematik kann das viel besser. Physikalische Problemstellungen, Experimentierbedingungen und Lösungsstrategien können mit ihrer Hilfe exakt, sehr effizient und unabhängig von Nationalsprachen formuliert werden. Die mathematischen Ausdrücke sind die Hauptträger der Information.

Bei der Interpretation der Forschungsergebnisse kommt wiederum die Sprache stärker ins Spiel. Jeder Begriff der Alltagssprache steht aber in einem kulturhistorischen Zusammenhang und ruft eine ganze Reihe von Bedeutungen und Assoziationen ab.
Unerklärte Fachbegriffe problematisch
Die Differenzierung des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs beeinflusst direkt auch die Kommunikation zwischen den einzelnen Teildisziplinen. Im Zuge der immer stärkeren Segmentierung der Fachgebiete findet man sich in der Naturwissenschaft leicht in einem Spezialgebiet wieder, das weltweit nur von einer Handvoll Menschen geteilt wird.

Das führt dazu, dass selbst auf Fachkonferenzen inhaltliche Überschneidungen kaum mehr vorhanden sind. Es genügt, ein paar unerklärte Fachbegriffe oder Formeln an die Wand zu werfen, und man verliert innerhalb der ersten Minute eines wissenschaftlichen Vortrags die Aufmerksamkeit von 90 Prozent des Publikums.
Unüberwindbare Sprachhürden?
Leider gehört diese Nicht-Kommunikation immer noch zum Wissenschaftsalltag. Oft sind sich die Betroffenen des Problems gar nicht bewusst. Manchen fehlt aber auch einfach der Mut zur Verständlichkeit.

Wissenschaftlern, die sich verständlich ausdrücken, begegnet man hierzulande oft mit Skepsis und Argwohn. Man ist nach wie vor daran gewöhnt, dass der Nimbus des intellektuell unerreichbaren Experten durch eine für den Laien unüberwindbare Sprachhürde aufrechterhalten wird.
Professionelles Kommunikationstraining
Um Zuhörer bei einem anspruchsvollen Thema eineinhalb Stunden lang bei der Stange zu halten, braucht man ein Repertoire an rhetorischen und präsentationstechnischen Fertigkeiten. Die Begabungen dafür sind unter Lehrenden heterogen verteilt. Letztlich handelt es sich aber um erlernbare Techniken. Sinnvoll möglich ist das allerdings nur in von versierten Trainern geleiteten Kleingruppen.

Das kostet natürlich Geld und ist wohl der Hauptgrund, warum Präsentations- und Kommunikationstraining in den österreichischen Studienplänen bis auf ein paar Alibiveranstaltungen nicht vorgesehen sind. An der Qualität der Lehre wird sich so nicht viel ändern. Und ein Großteil der Diplomanden und Dissertanten wird auf die Aufforderung, das eigene Arbeitsgebiet in drei Sätzen zu erklären, weiterhin sprachlos reagieren.
Attraktive Kommunikationsmodelle
Aber gerade die Physik mit ihren oft abschreckenden, jeder Alltagserfahrung und Intuition widersprechenden Modellen und Erklärungskonzepten braucht attraktive Kommunikationsvehikel. Es ist wohl kein Zufall, dass die Show "Visualise" aus Großbritannien stammt.

Dort hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Hochkultur der Wissenschaftskommunikation entwickelt, unter anderem erkennbar an mehreren Professuren für "Public Engagement in Science". Anerkannte Wissenschaftsgrößen engagieren sich bei anspruchsvollen und erstaunlich populären Wissenschaftsformaten in verschiedensten Medienkanälen.
Publikumsfreundliche Veranstaltungen
Die Größen dieser Szene treffen sich jährlich bei einem "Science Festival", das vergangene Woche wieder im kleinen Städtchen Cheltenham 150 km westlich von London stattgefunden hat. Als österreichischer Beobachter kann man über die Qualität und Vielfalt der Veranstaltungen nur staunen.

Besonders beeindruckend aber ist das Publikum, das sich mit großem Interesse und Selbstbewusstsein lebhaft an den zahlreichen Diskussionen beteiligt - dank professioneller Wissenschaftskommunikation.

[20.6.08]
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Über den Autor
Der Physiker Bernhard Weingartner ist Assistent am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Wien, engagiert sich bei "University Meets Public" und ist Gewinner von FameLab Austria 2008, einem Wettbewerb für Wissenschaftskommunikation.
->   Bernhard Weingartner
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->   Show "Visualise" (Science Made Simple)
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010