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Seit 1955: Mehr Kriegstote als bisher angenommen  
  Dreimal mehr Menschen sind in den vergangenen fünfzig Jahren weltweit Kriegen zum Opfer gefallen als bisher angenommen. Das ist der Schluss von Gesundheitsstatistikern, die mit einer neuen Methode die Kriegstoten in 13 ausgewählten Ländern untersucht haben.  
Alleine in diesen Ländern sind von 1955 bis 2002 rund 5,4 Millionen Kriegstote zu beklagen, berichten Ziad Obermeyer von der University of Washington in Seattle und seine Kollegen.
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Die entsprechende Studie "Fifty years of violent deaths related to war from Vietnam to Bosnia: analysis of data from world health survey programme" ist am 19.6.08 online im British Medical Journal (doi: 10.1136/bmj.a137) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Keine einfache Angelegenheit
Das Zählen von Kriegstoten ist nicht gerade einfach: Der politische Wille dazu fehlt von allen Seiten, eventuelle Resultate werden sofort ins Arsenal der Propaganda übernommen. Das hat nicht zuletzt der Irak-Krieg gezeigt.

Über die Zahl der toten Iraker seit der US-Invasion im März 2003 wird weiter gestritten - sie schwankt zwischen 60.000 und 600.000. Eine im "New England Journal of Medicine" (NEJM ) veröffentlichte Studie gelangte zu der Zahl von 151.000 Gewaltopfern im Zeitraum März 2003 bis Juni 2006.

"Iraq Body Count", eine Zivilorganisation, die alle Medienberichte über Gewaltvorfälle im Irak auswertet, kommt für denselben Zeitraum auf eine Opferzahl von lediglich 47.668. Die Diskrepanz liegt in der Dunkelziffer nicht erfasster Fälle.
->   Mehr über die NEJM-Studie
WHO-Daten verwendet
Kriegstote zu zählen ist aus rein praktischen Gründen sehr schwierig. Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten, wie Obermeyer und sein Team in ihrer aktuellen Studie ausführen. Entweder man verlässt sich auf Berichte von Augenzeugen und Medien oder man verwendet Sterbestatistiken, die auf die Gesamtopferzahl hochrechnen.

Beide Methoden bergen unterschiedliche Quellen für Verzerrungen. Um diese zu verringern, haben sie eine neue - wiewohl ebenfalls statistische - Methode angewendet.

Dabei vergleichen sie die Daten von Erhebungen, die regelmäßig von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführt werden. Bei den "World Health Surveys" werden unter anderem die Todesursachen der Geschwister jener Personen untersucht, die den Fragebogen beantworteen.
13 Länder untersucht - 5,4 Millionen Tote
Für jene 13 Länder, die bei der WHO-Untersuchung 2003 die meisten Kriegstoten zu beklagen hatten, machten die Forscher ihren historischen Rückblick auf die vergangenen fünf Jahrzehnte. Dabei handelte es sich um Bangladesch, Bosnien, Burma, Äthiopien, Georgien, Guatemala, Laos, Namibia, Philippinen, Republik Kongo, Sri Lanka, Vietnam und Simbabwe.

Insgesamt sind laut den Forschern im Untersuchungszeitraum 5,4 Millionen Menschen durch den Krieg getötet worden, am meisten davon in Vietnam (3,8 Millionen). 58 Prozent der Toten waren zwischen 15 und 34 Jahren alt, 81 Prozent waren männlich.

Die Gesamtzahl aller Länder liegt dreimal höher als bisherige Schätzungen. Besonders hohe Abweichungen gegenüber vergangenen Annahmen ergaben sich bei Simbabwe und Bangladesch.
Dunkelziffer noch viel höher
In einem Begleitkommentar verweist der Mediziner Richard Garfield von der Columbia University auf einige Faktoren, die die Verlässlichkeit der Resultate einschränken. Statistische Verzerrungen seien auch bei der neuen Berechnungsmethode vorhanden - u.a. waren die Samples bei fünf Ländern relativ klein.

Außerdem beziehen sich die Zahlen der Toten ausschließlich auf die direkten Opfer und etwa nicht auf die durch jene, die an den Folgen des Kriegs gestorben sind. Rechnet man auch Infektionskrankheiten, Hunger etc. mit ein, dürften die Zahlen noch weit höher liegen.

[science.ORF.at, 19.6.08]
->   World Health Survey
->   Institute for Health Metrics & Evaluation, University of Washington
->   Human Security Centre. War and peace in the 21st century
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Pentagon weist Irak-Studie zurück
->   Studie: Über 650.000 Tote durch Kriegsfolgen im Irak
 
 
 
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01.01.2010