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Stammzell-Patentierung: "Nicht gut für Forschung"  
  Einer Patentierung von menschlichen embryonalen Stammzellen sieht der Wiener Molekularbiologe Erwin Wagner kritisch: "Ich sehe keinen Grund dafür, warum die Herleitung von Zellen patentiert werden soll."  
Dies wäre "nicht gut für die Forschung", sagte der Gen-Forscher gegenüber der APA anlässlich der derzeitigen Verhandlungen über Patente auf embryonale Stammzellen am Europäischen Patentamt (EPA) in München.
Pro Patentierung bei neuer Anwendung
Nur bei der Entwicklung neuer Verfahren auf Grundlage der Zellen und somit ihrer Anwendung befürwortet Wagner eine Patentierung: "Entwickelt jemand aus der Zelle eine super-neuronale Zelle, dann Ja."

Wagner, der bisher am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) forschte und mit 1. Juli seine Arbeit am Spanish National Cancer Research Centre in Madrid fortsetzen wird, arbeitet seit November 2007 an aus den USA importierten embryonalen Stammzellen.
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"WARF-Patent"
Wagners Quelle ist nicht die Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF), deren Anmeldung zur Gewinnung embryonaler Stammzellen von Primaten (einschließlich Menschen) beim EPA noch bis heute, Mittwoch, die Große Beschwerdekammer des Patentamts beschäftigt. Vorhergehende Instanzen des EPA hatten die Anmeldung des "WARF-Patents" abgelehnt, hinter dem die Arbeit des US-Forschers James Thomson steckt.
->   Patentierung menschlicher Stammzellen? (23.6.08)
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"Musik spielt woanders"
Die Empfehlung wird auch mit Spannung von dem Wiener Bioethiker Ulrich Körtner erwartet: Da es in den USA ein freieres Patentrecht gibt und das Land ohnehin eine "Pole Position" bei der Stammzellenforschung und der Produktion von Stammzelllinien habe, müsse nun Europa schauen, wo es steht.

Die europäische Stammzellforschung sei abhängig von ausländischen Ressourcen. Grundsätzlich sei zu bedenken: "Die Europäer können den Ton nicht angeben, wenn die Musik woanders spielt", so Körtner.
Umstrittene "EU-Biopatent-Richtlinie"
Die Patentierbarkeit des menschlichen Körpers wird in Österreich über die in der Vergangenheit heftig umstrittenen "EU-Biopatent-Richtlinie" behandelt. Darin ist festgehalten, dass der menschliche Körper und Tiere "grundsätzlich nicht Gegenstand von Erfindung und Patentierung sein kann", sagte Körtner gegenüber der APA: "Es stellt sich aber die Frage, ob es Ausnahmen gibt."

So sind Zellen, die mit einer sogenannten technischen Lehre verbunden sind, durchaus patentierbar. Es gibt laut dem evangelischen Theologen von der Universität Wien etwa auch Biopatente auf gentechnisch veränderte Bakterien, die in Verfahren zur Medikamentenentwicklung benötigt würden. Schon damals habe es in der EU Diskussionen gegeben, ob das auch auf die Patentierung von embryonalen Stammzellen zutrifft.
->   Biopatent-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt (13.5.05)
Schutzrecht für biologisches Material
Körtner hält die mehrheitliche Leseart der Biopatent-Richtlinie "patenrechtlich für plausibel", ohne sie pauschal befürworten zu wollen.

Für ihn wäre es zu einem früheren Zeitpunkt sinnvoll gewesen, für biologisches Material ein eigenes Schutzrecht aufzubauen. Dieser Zug sei nun abgefahren.
Kostenlawine oder Publikationshindernis?
Sprechen die Kritiker einer Patentierbarkeit von embryonalen Stammzellen von einer drohenden Kostenlawine, so warnen laut Körtner die Befürworter: "Wenn die Patentierung nicht umgesetzt wird, dann wird die Publikation von Forschungsergebnissen verhindert, weil geistiges Eigentum nicht hinreichend geschützt wird."

Der Argumentation beider Lager kann Gen-Forscher Wagner nicht viel abgewinnen. Die "Kostenlawine" hänge davon ab, wie ein Patent geschrieben ist: Ob es auf Grundlagen- oder angewandte Forschung ausgerichtet ist.
Auch in USA heftige Diskussionen
Eine Entscheidung des EPA zur Patentierbarkeit menschlicher embryonaler Stammzellen nach dem EPÜ wird laut Aussendung des Amts nicht sofort verkündet. Die in den USA von WARF gemeldeten drei "großen" Patente in Verbindung mit embryonalen Stammzellen sorgen auch jenseits des Atlantiks seit Jahren für große Diskussion.

James Thomson hatte 1995 als erster Forscher weltweit embryonale Stammzellen von Primaten und 1998 als erster embryonale Stammzellen des Menschen isoliert.

[science.ORF.at/APA, 25.6.08]
->   Europäisches Patentamt (EPA)
->   Erwin Wagner
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->   Alle Beiträge von Ulrich Körtner in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010