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Uni-Lektoren: Vorschläge für Geisteswissenschaften  
  Im April ist eine Studie des Forschungsrats (RFT) über die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften in Österreich erschienen. Ihre Situation wurde darin nicht gerade als rosig beschrieben: Die Forschungsförderung sei zersplittert, das Renommee in der Öffentlichkeit nicht das beste. Als Gegenmaßnahmen empfahl der Forschungsrat u.a. die Bündelung der Förderungen sowie Schwerpunktsetzungen.  
Stark betroffen sind von etwaigen Reformen die externen Lektoren der Hochschulen. In einer Stellungnahme legt die "Interessengemeinschaft (IG) für Externe LektorInnen" deshalb ihre Position zu den Reformvorschlägen dar. Individuelle Leistungen seien für die GSK unverzichtbar, eine offene Forschungsstruktur und -infrastruktur notwendig, schreiben Franz Seifert, Andrea Ellmeier und Monika Bernold von der IG in einem Gastbeitrag.
Zur Verbesserung der Situation der österreichischen Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften
Von der IG Externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen

Die IG begrüßt die Initiative des Rates für Forschung und Technologieentwicklung zur Verbesserung der strukturellen Bedingungen in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften (GSK), zumal Reformen in diesem Bereich dringend erforderlich sind.

Wir weisen darauf hin, dass ein wesentlicher Teil der Universitätslehre in den GSK von so genannten externen, also nur befristet angestellten Lehrenden durchgeführt wird und wir daher für eine große Gruppe potenziell Betroffener sprechen.
Wertschätzung und Kritik
Während wir den Ergebnissen der RFT-Studien im Wesentlichen beipflichten, sehen wir bei den Handlungsempfehlungen Bedarf an kritischer Differenzierung.

So wird richtig festgestellt, dass die GSK individualisiert, strukturell fragmentiert, thematisch und organisatorisch kleinteilig sind.

Der daraus abgeleiteten Empfehlung nach Bündelung und Koordination sämtlicher Förderungsmaßnahmen im Rahmen langfristiger Schwerpunktsetzungen stimmen wir jedoch nicht zu, sondern befürchten vielmehr, dass diese Maßnahmen nicht nur die Stärken der GSK verkennen, sondern auch gegebene Missstände verschärfen.
Individualismus und Selbstorganisation als Stärken
Festzuhalten ist, dass Leistungen in den GSK in weit höherem Ausmaß als in den Natur- und angewandten technischen Wissenschaften in individualisierter Weise erbracht werden.

Obwohl Kooperationen und Netzwerkbildungen in den GSK ebenso unverzichtbar sind wie in allen anderen Wissenschaften, liegen die Stärken der GSK eben nicht in der Großforschung sondern in individueller Initiative, Expertise und Fokussierung.

Signifikante Beiträge in den GSK sind kaum Resultat großer Forschungskollektive, sondern meist das Ergebnis einzelner oder kleiner Gruppen, Kooperationen werden zwischen Individuen geschlossen - nicht zwischen Disziplinen, Institutionen oder Forschungsclustern.
Offene Forschungsinfrastruktur notwendig
Zu den strukturellen Bedingungen der GSK zählt auch, dass gegenüber den Natur- und Technikwissenschaften mit vergleichsweise wenig Infrastruktur- und Sachaufwand, v.a. aufgrund des geringeren Geräteaufwands, geforscht werden kann. Doch braucht Produktivität in den GSK ebenso Ressourcen.

Dazu zählen neben Einkommen und Forschungsbudgets v.a. offene Forschungsinfrastrukturen, d.h. beispielsweise bestens ausgestattete Bibliotheken. Trotz Open Access Initiativen (des FWF) und zunehmend elektronischen Bibliotheken hat Österreich hier noch sehr großen Nachholbedarf.

Zudem steigen die Nutzungskosten von Forschungsinfrastruktur - Archivgebühren, Bibliotheksgebühren - kontinuierlich.
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Das WissenschafterInnenhaus
Das WissenschafterInnenhaus - eine langjährige Forderung der IG Externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen - wäre eine Investition in eine offene Forschungsinfrastruktur, welche auf die Schaffung einer materiellen und institutionellen Infrastruktur abzielt, die die Arbeitssituation "Freier WissenschafterInnen" nachhaltig verbesserte. Eine vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie dazu findet sich auf der Homepage der IG veröffentlicht:
->   Die Studie
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Keine langfristigen Perspektiven
Die entscheidende Voraussetzung wissenschaftlicher Produktivität von Forscherinnen und Forschern liegt im Vorhandensein echter Karrierechancen. Gegenwärtig werden solche Chancen der überwiegenden Mehrheit an qualifizierten WissenschafterInnen in den GSK vorenthalten.

Selbst bei bester Qualifikation und einem umfassenden Track Record gibt es im Regelfall keine längerfristigen Stellen für Post-docs und Habilitierte. Gleichzeitig wird ein Großteil der Lehre - die einen hohen Aufwand erfordert - bei geringfügiger Remuneration auf externe Lehrkräfte ausgelagert.
Nicht nur eine Frage der Ressourcen
Gründe für diesen Missstand liegen keineswegs allein in Ressourcenknappheit oder der vermeintlich geringen gesellschaftlichen Relevanz der GSK.

Mindestens ebenso haben sie mit der Wahrung etablierter Interessen im akademischen Institutionengefüge und einer Re-Hierarchisierung in den Wissenschaften, ausgelöst durch die Unireformen seit 2002, zu tun.
Reale Karrierechancen für GSK-WissenschafterInnen
Mehr als über langfristige Schwerpunktsetzungen sollte über die Schaffung realer GSK-Karrierechancen unter Gegenwartsbedingungen, über institutionalisierte Anbindungsmöglichkeiten für freie Forscherinnen und Forscher nachgedacht werden.

Eine Förderung vorhandener Potenziale hat diesen Gegenwartsbedingungen in den GSK Rechnung zu tragen. Maßnahmen zur Verbesserung der GSK-Innovation sollten daher darauf abzielen:

1. Drittmittelpersonal und externen Forscher- und Forscherinnen Wege in die institutionalisierte Forschung nicht zu verschließen, sondern in transparenter, fairer Weise offen zu halten.

2. Strukturen zu schaffen bzw. zu verbessern, um die individuellen Potenziale von Forschern und Forscherinnen auch im außerinstitutionellen Bereich zu fördern.

3. die Idee des WissenschafterInnenhauses als Investment in die Forschungsinfrastruktur aufzugreifen.

[30.6.08]
->   IG-Externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen Wien
->   GSK-Studie (Forschungsrat; pdf-Datei)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Geisteswissenschaften: Wenig Geld und wenig Ehre
->   FWF kritisiert GSK-Studie des Forschungsrats
 
 
 
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01.01.2010