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Computer sagt Exekutionen voraus  
  Tausende Menschen warten in den USA auf ihre Hinrichtung, jedes Jahr wird aber nur ein kleiner Teil tatsächlich getötet. Forscher haben mit Computerhilfe herausgefunden, dass der Bildungsgrad entscheidend für den Gang zur Exekution ist.  
Je nachdem, wie viele Jahre ein zum Tode verurteilter Mensch in der Schule verbracht hat, sinkt bzw. steigt die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich hingerichtet zu werden, schildern der Computerwissenschaftler Stamos Karamouzis und der Kriminologe Dee Wood Harper von der Loyola Universität in New Orleans im "New Scientist" (28. Juni 2008, Ausgabe 2662).
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Die Studie "An Artificial Intelligence System Suggests Arbitrariness of Death Penalty" wurde im "International Journal of Law and Information Technology" veröffentlicht (Band 16, doi:10.1093/ijlit/eam006).
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Neuronales Netzwerk suchte nach Mustern
2006 warteten in den USA 3.228 Menschen auf die Exekution, 53 davon wurden tatsächlich zur Hinrichtung abgeführt. Karamouzis und Harper wollten wissen, ob hinter der Auswahl eine Art von System steckt.

Sie selbst konnten in den Daten kein Muster erkennen, also verwendeten sie ein neuronales Netzwerk, ein dem menschlichen Gehirn nachempfundenes Computermodell. Die Besonderheit eines neuronalen Netzwerks ist es, dass es "lernen" kann: Hat es einmal einen Datensatz zu interpretieren gelernt, kann es das auch in neuen Datenmengen Muster erkennen.
Mit Daten vergangener Fälle gefüttert
Das neuronale Netzwerk von Karamouzis und Harper hatte bereits in anderen Fällen funktioniert: Um vorherzusagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit vorzeitig entlassene Jugendliche wieder gegen Gesetze verstoßen und welche Studenten ihre Ausbildung abbrechen werden.

Im Fall der Exekutionen fütterten die Forscher ihr Netzwerk zuerst mit Profildaten von 1.000 zum Tod verurteilten Menschen, von denen die Hälfte tatsächlich exekutiert wurde und die andere Hälfte überlebte. Jedes Profil bestand aus 18 Merkmalen, darunter Geschlecht, Alter, Rasse, Familienstand, Bildungsniveau, Informationen über die begangenen Verbrechen und die Information, ob hingerichtet oder nicht.
Computer schätzte Hinrichtung richtig ein
Dann speisten sie die Profile von weiteren 300 Exekutionskandidaten ein und ließen den Computer "tippen", wer davon getötet wurde: In 90 Prozent der Fälle stimmte die Computerschätzung, wie die Forscher in der entsprechenden Studien darlegten.

Um herauszufinden, welcher Faktor den stärksten Hinweis auf eine tatsächliche Exekution liefert, wurde jeder einzelne aus der Berechnung herausgenommen und die Auswirkungen auf die Genauigkeit der Prognose analysiert: Dabei zeigte sich, dass die "Trefferquote" des Computers am meisten darunter litt, wenn man die Angaben zum Geschlecht entfernte. Frauen werden generell viel seltener hingerichtet als Männer.
Keine Angaben zur Schulbildung, keine Genauigkeit
Nachdem aber auch viel weniger Frauen zum Tod verurteilt werden, stelle dieses Ergebnis laut Studie die "Objektivität" des Strafsystems nicht so sehr infrage wie die Auswirkungen, wenn man die Information entfernt, wie viele Schuljahre jemand absolviert hat:

Dann stimmen die Prognosen in den meisten Fällen nicht mehr, oder im Umkehrschluss: Die Schulbildung bestimmt maßgeblich die Wahrscheinlichkeit, ob jemand tatsächlich hingerichtet wird oder nicht.
Zug fährt eher Richtung Verschärfung
"Dieses Ergebnis bestätigt einmal mehr, dass es bei der Hinrichtung nicht darum geht, was man getan hat, sondern darum, wie gut man sich verteidigen kann", interpretiert ein Vertreter einer gegen die Todesstrafe aktiven NGO im "New Scientist" die Studie.

Die Forscher bleiben hinsichtlich der Wirkung ihrer Studie realistisch: "Solange die Öffentlichkeit für die Todesstrafe ist, werden auch noch so viele Untersuchungen keinen Unterschied machen", so Harper.

Momentan scheint der Zug eher Richtung Verschärfung zu fahren: Eben erst haben sich beide Präsidentschaftskandidaten, Barack Obama und John McCain, für die Todesstrafe auch bei sexuellem Missbrauch an Kindern ausgesprochen.

[science.ORF.at, 26.6.08]
->   ORF.at: "Todesstrafe nicht nur für Mörder"
->   "New Scientist"
->   Das Stichwort Todesstrafe im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010