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HIV-Geschichte wird neu geschrieben  
  US-Forscher haben auf einer Konferenz Daten präsentiert, die das bisherige Bild der HIV-Evolution massiv korrigiert. Der Typus HIV-1 hat demzufolge bereits vor 100 Jahren Menschen infiziert, die Affenvariante SIV ist hingegen viel jünger als gedacht, nämlich nur ein paar hundert Jahre.  
SIV: Hunderte statt Millionen Jahre
Dass etwas an der üblichen HIV-Chronologie etwas falsch sein könnte, bemerkten US-Forscher bereits letztes Jahr. Bisher erklärte man sich die Tatsache, dass Affen, die durch einen Immundefizienzvirus namens SIV infiziert werden, daran nicht substanziell erkranken, durch eine längere gemeinsame Geschichte zwischen Virus und Wirt.

Demnach hätten Affen schlichtweg viel länger - Millionen von Jahren - Zeit gehabt, sich an die Virusinfektionen anzupassen - mithin der Grund, warum SIV im Gegensatz zu seinem humanen Gegenstück HIV nicht tödlich ist. Wenn das der Fall wäre, müssten die Stammbäume von Affen und der auf ihnen parasitierenden SI-Viren sehr ähnlich sein. Das ist zumindest bei afrikanischen Meerkatzen nicht der Fall, wie Joel Wertheim und Michael Worobey von der University of Arizona vor einem Jahr herausfanden: "Unsere Arbeit weist darauf hin, dass SIV nicht Millionen von Jahren alt ist", berichtet Wertheim auf der Konferenz "Evolution 2008" in Minnesota.
Meerkatzen erst 1800 infiziert
Um den Ursprung der verschiedenen SIV-Varianten enger einzugrenzen, hat Wertheim kürzlich ein paar Virusproben von Mangaben aus Afrika und US-amerikanischen Primatenzentren untersucht. Ein Vergleich der Gensequenzen mit SIV-Proben von Meerkatzen, Makaken sowie mit HIV-2 ergab: Die Mangaben wurden erst vor kurzem, nämlich um das Jahr 1800 mit SI-Viren infiziert. 125 Jahre später sprang das Virus auf eine neue Art - Homo sapiens - über und entwickelte sich zu HIV-2.
Frühe HIV-Infektionen
Wertheims Kollegin Marlea Gemmel hat nun die Geschichte der bekannteren Variante HIV-1 unter die Lupe genommen. Und auch hier gab es eine Überraschung. Sie analysierte Lymphgewebe, das im Jahr 1960 Patienten der pathologischen Abteilung der Universität Kinshasa entommen worden war und verglich es mit Blutproben aus dem Jahr 1959.

Beide Samples waren genetisch höchst unterschiedlich, so Gemmel gegenüber dem Newsdienst von "Science": "Das weist auf eine lange Periode der Diversifikation vor 1960 hin." Gemmel konnte durch weitere Genvergleiche nachweisen, dass HIV-1 bereits 1908 Menschen infiziert hatte. Bislang meinte man, das sei im Jahr 1931 geschehen.

Außerdem legt ihre Untersuchung nahe, dass HIV-1 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts einen relativ geringen Verbeitungsgrad hatte - und dann sprunghaft anstieg. Gemmel: "Das trifft mit dem Aufstieg der Großstädte zusammen." Die fortschreitende Urbanisierung könnte demzufolge als Katalysator für die HIV-Verbreitung gewirkt haben.
HIV: Warum so gefährlich?
Diese Neubewertungen haben durchaus praktische Konsequenzen, etwa für mögliche Aids-Therapien, wie der US-Evolutionsbiologe David Hills betont. Bisher nahm man wie bereits erwähnt an, dass die tödliche Wirkung von HIV durch die vergleichsweise kurze Geschichte von Mensch und Virus erklärt werden muss.

Wenn allerdings auch die Affen nicht wesentlich mehr Zeit hatten, sich anzupassen, fällt diese Hypothese wohl aus. Hills: "Wir müssen in anderen Richtungen suchen, um die Virulenz von HIV zu verstehen."

[science.ORF.at, 27.6.08]
->   Evolution 2008
->   HIV - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010