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"Schule für Wirtschaftskrieg" lehrt Desinformation  
  Fortbildung einmal anders: In der Pariser "Ecole de Guerre Economique" kann man alles über Fehlinformationskampagnen, digitalen Datenklau und Cyber-Sabotage lernen.  
Konkurrenz mit allen Mitteln
Gut getarnt hinter einer schmalen blauen Tür liegt die "Ecole de Guerre Economique" (EGE) im feinen VII. Pariser Arrondissement, nahe des Eiffelturms und der ehrwürdigen Militärschule. In den engen Gängen und dunklen Klassenzimmern würde sich auch Globalisierungs-kritische NGOs wohlfühlen. Das Heiligtum der verschwiegenen Lehrwerkstatt sind die hochgerüsteten Computer: In den Cyberkrieg des 21. Jahrhunderts ziehen die Studenten nicht mit Revolver oder Abhör-Wanzen, sondern mit der Maus. Schutzzölle oder Werkspionage sind hier Schnee von gestern.
Angriff auf Images
Vor knapp elf Jahren hat EGE-Direktor Christian Harbulot die Kaderschmiede ins Leben gerufen, gemeinsam mit einem früheren General. "Die westliche Welt wird durcheinandergewirbelt, der Wettbewerb wird immer härter", warnt er. "Ganze Industrien verschwinden, die Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze." Es genüge nicht mehr, ein "Super-Produkt" auf den Markt zu werfen, die Firmen müssten lernen, sich vor allem gegen Informations-Attacken zu schützen.

"Vor dreißig Jahren war die größte Gefahr, sich ein Geschäftsgeheimnis stehlen zu lassen", meint Harbulot. "Natürlich gibt es dieses Risiko noch heute, aber viel schneller kann man das Image des anderen angreifen, seinen Aktienkurs zum Straucheln bringen und Zweifel in den Köpfen der Menschen sähen."


Ein Beispiel: Die in China stark vertretene französische Supermarktkette Carrefour. Nach den Attacken auf die olympische Fackel in Paris war das Unternehmen in China Ziel von Boykottaufrufen via SMS und Internet geworden. Ein Großteil davon, meint Harbulot, sei aber gar nicht aus China gekommen, wie in der Öffentlichkeit kolportiert - sondern von der westlichen Konkurrenz.
Geopolitische Strategien
Dem Mitt-Fünfziger geht es aber nicht nur um nationale Wirtschaftsinteressen. Er hat Europa im Blick. Der vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy beschworene Industriepatriotismus mit dem Aufbau nationaler Großkonzerne bringt nach Ansicht von Harbulot nicht weiter. Im Kampf etwa gegen Spionage aus Russland oder Schwellenländern wie China müsse die EU zusammenstehen.

"Wir müssen auf europäischer Ebene Antworten finden beispielsweise auf die Staatsfonds, der einzelne Mitgliedstaat hat nicht die kritische Masse", meint Harbulot. "Man sieht doch, dass hinter den Staatsfonds der Chinesen vor allem die Logik des Wissenstransfers steckt, bei den Fonds aus Nahost vor allem um Rentabilität, den Russen um die Kontrolle in strategisch wichtigen Industriesektoren."
Spionage vernichtet Arbeitsplätze
In Deutschland etwa befasst sich bereits der Verfassungsschutz mit dem Problem der Wirtschaftsspionage. Die Bundesrepublik sei als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für fremde Nachrichtendienste sehr attraktiv, heißt es im aktuellen Bericht. Weniger entwickelte Staaten spähten technisches Know-how aus. Andere interessierten sich für Produktideen oder Fertigungstechniken.

Laut einer Studie der Universität Lüneburg vernichten Spionage und Computerattacken jedes Jahr 50.000 Jobs und kosten die Wirtschaft bis zu 50 Mrd. Euro. Aber eine "Schule für Wirtschaftskrieg" gründen, um den Firmen Abwehrtechniken beizubringen? Wegen der Geschichte in Deutschland bisher undenkbar, glaubt Harbulot. "Ich glaube aber, dass die Dinge jetzt ins Rollen kommen - auch wenn eine solche Schule wohl anders hieße."
Studienkosten: 10.000 Euro für 10 Monate
Und so finden sich unter den insgesamt gut 300 "EGE"-Absolventen auch eine Hand voll deutschsprachiger Diplomierter. Die Wirtschaftskrieger landen in Großkonzernen wie dem Flugtechnikkonzern EADS, Botschaften oder dem Verteidigungsministerium. Neben dem Pariser Verteidigungsressort unterstützt die Rüstungsberatung "Defense Conseil International" die staatlich anerkannte Schule.

10.000 Euro kosten zehn Monate Aufbau-Studium. Gelehrt werden Strategien zur Markteroberung, Militärtechniken, Vernebelungstaktiken oder Wirtschaftskrimis nacherzählt. Über genaue Inhalte schweigen sich die Dozenten und ihre Schüler aus. Es gehe aber alles legal zu, betont Harbulot. "Um Kriege zu verhindern, muss man die anderen vor allem dazu bringen, einen zu fürchten."

Dorothee Junkers, dpa, 1.7.08
->   Ecole de Guerre Economique
->   Ecole de guerre économique - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010