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Sprachtherapie per Computer  
  Für Menschen mit Sprachstörungen bieten computergestützte Lernprogramme und virtuelle Räume einen Schlüssel zu langfristigem Therapieerfolg. Bei einer internationalen Konferenz in Wien diskutieren Sprach- und Kognitionswissenschaftler über die Potenziale moderner Informations- und Kommunikationstechnologien für die Diagnostik und Behandlung von Personen mit "Aphasie", einer erworbenen Sprachstörung nach Schädigung des Gehirns.  
Leben massiv beeinträchtigt
Sprachstörungen - beispielsweise nach einem Schlaganfall oder einer Hirnblutung - beeinträchtigen das Leben der Betroffenen massiv: Die einen können nicht sprechen, die anderen verstehen nicht. Während den einen die Worte fehlen, können sie die anderen nicht zu Sätzen formen.

Die Therapie dieser Personen ist nicht nur häufig schwierig und langwierig, sondern muss auch auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden. Meist benötigen die chronischen Patienten mit schweren Sprachstörungen eine Langzeitbetreuung, die von den Krankenversicherungen nur selten übernommen wird.

Einen Weg aus dem Dilemma bieten moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT): Lern-DVDs, virtuelle Räume, Teletherapie aus dem Internet und tragbare Kommunikationshilfen bieten Betroffenen künftig Unterstützung beim Wiedererlernen der Sprache und Wiedererlangen der kommunikativen Fähigkeiten.
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Internationale Konferenz
Von 7. bis zum 8. Juli 2008 diskutieren Sprachwissenschaftler, Kognitionsforscher und Therapeuten im Theatersaal der österreichischen Akademie der Wissenschaften (1, Sonnenfelsgasse 19) in Wien über die Potenziale moderner computerbasierter Therapie- und Diagnostik-Methoden für sprachbeeinträchtigte Menschen.
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Regelmäßiges Training notwendig
Jacqueline Stark vom Zentrum für Sprachwissenschaften der Kommission für Linguistik und Kommunikationsforschung (ÖAW) weiß, wie intensiv und langfristig die Therapien von Menschen mit Sprachstörungen ablaufen.

Seit 1974 setzt sich die Sprachwissenschaftlerin täglich mit diesen Personen auseinander. "Die Therapie verlangt nach konsequenter, kontinuierlicher und eben individuell abgestimmter Übung", erläutert die Expertin ihre Erfahrung aus der Praxis.

"Um wirklich gute Fortschritte zu machen, sollten die Personen, die meist ein Leben lang von ihrer Behinderung beeinträchtigt werden, regelmäßig - auch zu Hause - an ihren Störungen arbeiten." Spezielle Computerprogramme sowie virtuelle Räume, und Teletherapie aus dem Internet bieten den Betroffenen die Möglichkeit, auch außerhalb des Therapie-Settings zu trainieren und damit den Lerneffekt zu verstärken.
Kein Sprachtherapie-Ersatz
Bild: Jacqueline Stark
Beispiel aus der Fotoserie: Der Wecker
"Diese Arbeit mit dem Computer ist natürlich nur eine Begleitmaßnahme zur konventionellen Sprachtherapie", so Stark. "Die direkte Auseinandersetzung von Patienten und Therapeuten ersetzen diese Methoden keinesfalls." Mit ihrer eigenen Erfahrung hat die gebürtige New Yorkerin linguistisch fundiertes Material entwickelt, das vielseitig einsetzbar ist: die so genannte ELA-Fotoserie - "Everyday Life Activity"-Photo Series.

Die Fotokarten beinhalten aufeinander bezogene Bildimpulse, die zum Wiedererlernen und Unterrichten von Sprache dienen. Künftig will die Sprachwissenschaftlerin die Karten mittels Computerprogramm in aufeinander folgenden Modulen erfassen und auf DVD anbieten. "Der riesige Vorteil davon wäre, dass die betroffenen Personen die DVD mit nach Hause nehmen und selbst an ihren Zielen arbeiten können", so Stark.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
Initiative:
->   Initiative
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Lebensnahe Bildstimuli
Bild: Jacqueline Stark
Beispiel aus der Fotoserie: Aktivität Zähne putzen
Im Vordergrund steht für die betroffenen Personen die Nutzung der Sprache im Alltag. Auf den Fotokarten sind erfahrbare, lebensnahe und alltägliche Bildstimuli abgebildet. "Durch die kombinierbaren Karten wird daher eine große Bandbreite von Handlungen, Beziehungen und Geschichten erreicht", so die Forscherin. "Es müssen immer dieselben Personen in den gleichen Kleidern vor einen neutralen Hintergrund zu sehen sein, sonst wirkt das ablenkend und verwirrend", verdeutlicht Stark.

Dabei werden alle sprachlichen Ebenen abgedeckt: von einzelnen Worten über die Satzproduktion bis zu Dialog- und Textbildung. Derzeit steckt Stark gemeinsam mit Informatikern in einem vom Zentrum für Innovation und Technologie geförderten Projekt zur Entwicklung eines adäquaten, sprachwissenschaftlich fundierten Computerprogramms.
Noch in den Kinderschuhen
"Generell steckt die Auseinandersetzung mit IKT für die Sprachdiagnostik und -therapie noch in den Kinderschuhen", so Stark. "Aber computerbasierte Lernprozesse sind die Zukunft. Diese Methoden ermöglichen auch die gezielte Testung und Diagnose von sprachbeeinträchtigten Menschen. Damit können Therapeuten ihre Arbeit gezielt auf die Probleme und Bedürfnisse des Patienten abstimmen."

Neben fundierten Sprachtherapieprogrammen gilt auch die Teletherapie als viel versprechende Maßnahme. "Betroffene laden sich bestimmte Lernprogramme und Sprachübungen einfach herunter", erklärt die Sprachwissenschaftlerin. "Die sprachbeeinträchtigte Person kann damit immer neue Übungen erstellen und anwenden, um den Lerneffekt zu steigern."
Virtueller Sprachraum
Gemeinsam mit ungarischen Kollegen arbeitet die Forschungsgruppe von Jacqueline Stark überdies am "Virtual ELA-House": In einem virtuellen Raum haben die betroffenen Personen - entweder individuell oder in der Gruppe - die Möglichkeit, nicht nur an ihren Sprachstörungen zu arbeiten, sondern auch mit anderen Betroffenen zu chatten und sich auszutauschen.

Für die Kommunikation im Alltag werden ebenfalls Computerlösungen gesucht: Amerikanische Kollegen arbeiten derzeit an einem tragbaren Kommunikationsgerät, mit denen sprachbeeinträchtigte Menschen Dinge ausdrücken können, zu denen sie sonst noch nicht in der Lage sind.
Leichter Fremdsprachen lernen
Sprachwissenschaftlich fundierte Computerprogramme und virtuelle Räume können künftig aber nicht nur für die Therapie, sondern auch zum Erlernen einer Sprache eingesetzt werden - etwa Migranten, die Deutsch als Zweitsprache lernen wollen oder Schüler, die man damit beim Erwerb einer Fremdsprache unterstützen könnte.

In der Zwischenzeit gibt es bereits etliche Firmen, die an solchen Computerprogrammen arbeiten und adäquate Methoden entwickeln. "Wir sind zwar erst am Beginn, die Potenziale zu nutzen", resümiert Stark. "Künftig wird der Computer und das Internet aber aus der modernen Sprachdiagnostik und -therapie nicht mehr wegzudenken sein."

Eva-Maria Gruber, science.ORF.at, 7.7.08
->   Jacqueline Stark, ÖAW
->   Linguistik und Kommunikationsforschung, ÖAW
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010