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Wie die Fantasie unsere Wahrnehmung prägt  
  Dass die Fantasie unsere Wahrnehmung beeinflusst, weiß jeder, der schon einmal in der Geisterbahn gefahren ist. Aus der liebevoll gemeinten Umarmung durch den Partner wird da schnell der Griff vom Sensenmann. Forscher haben nun empirisch überprüft, wie mentale Vorstellungen direkt unsere Wahrnehmung verändern können.  
Schon die kurze Konzentration auf das "innere Auge" genügt, um die Realität danach messbar anders zu sehen, berichten der Psychologe Joel Pearson von der Vanderbilt University im US-Bundesstaat Tennessee und sein Team.
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Die entsprechende Studie "The Functional Impact of Mental Imagery on Conscious Perception" ist in der Fachzeitschrift "Current Biology" (Bd. 18, S. 982, 8. Juli 2008) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Ständiger Strom an Vorstellungen
Mentale Bilder, Vorstellungswelt oder inneres Auge: Gleichgültig wie man es nennt, das menschliche Bewusstsein ist ein ständiger Strom an Vorstellungen, die nur zum Teil mit Dingen der Außenwelt korrelieren.

Auch der Sehsinn und die Verarbeitung seiner Signale im Gehirn verlaufen nicht immer nach dem Muster "von außen nach innen".

An der aktuellen Studie beteiligte Forscher haben etwa vor vier Jahren empirisch überprüft, wie Erwartungshaltungen unsere visuelle Wahrnehmung beeinflussen.
->   Mehr zu der Studie
Binokulare Rivalität - ein Bild wird unterdrückt
Die Wissenschaftler stützten sich bei ihren Untersuchungen damals wie heute auf das Phänomen der "binokularen Rivalität".

Unsere zwei Augen liefern ein - leicht, aber doch - unterschiedliches Bild der sichtbaren Welt. Normalerweise werden diese beiden Ansichten im Gehirn zu einem Bild fusioniert.

Wenn diese Ansichten allerdings so unterschiedlich sind, dass dies nicht möglich ist, kommt die binokulare Rivalität ins Spiel: Jeweils ein Bild bzw. Auge wird unterdrückt, nur das Bild des anderen wahrgenommen. Alle paar Sekunden wechselt die Wahrnehmung dabei zwischen den beiden Augen.
Experiment mit Rot-Grün-Brille
Bild: Joel Pearson, Vanderbilt University
Illustration des Versuchs
Dieses Prinzip haben sich die Psychologen um Joel Pearson nun für ihre Experimente zunutze gemacht. Die Teilnehmer ihres Versuchs mussten sich in einem ersten Schritt senkrechte bzw. waagrechte Muster vorstellen.

Danach bekamen sie auf einem Computerschirm eine Überlagerung von roten waagrechten und grünen senkrechten Linien zu sehen - nach dem Aufsetzen einer Rot-Grün-Brille konnte das eine Auge nur die grünen und das andere Auge nur die roten Muster sehen.

Die dadurch ausgelöste binokulare Rivalität wurde durch die vorangegangene Vorstellung entschieden: Dachten die Probanden an ein grünes Muster, so nahmen sie danach die waagrechten grünen Linien wahr.

Je länger sie sich zuvor auf ihre Aufgabe konzentrierten, umso eindeutiger fiel das Resultat danach aus.
Vorstellung wie schwaches Bild
Weitere Experimente zeigten, dass der gleiche Effekt eintrat, wenn den Versuchspersonen auf dem PC-Schirm nur schwach sichtbare Muster gezeigt wurden, bevor sie die Rot-Grün-Brille aufsetzten.

Sowohl die Vorstellung als auch diese schwache Wahrnehmung können laut den Forschern also zu einer "Perzeptionsspur" führen, die die darauffolgende Wahrnehmung entscheidend beeinflusst.
Ähnliches Zustandekommen im Gehirn
Damit argumentieren Pearson und seine Kollegen auch dafür, dass mentale und wahrgenommene Bilder zu ähnlichen Repräsentationen führen bzw. im Gehirn ähnlich verarbeitet werden.

"Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass sich Vorstellung und Wahrnehmung ein- und desselben Gegenstands überlappen. Unsere Arbeit zeigt, dass die beiden nicht nur zusammenhängen, sondern die Fantasie direkt beeinflusst, was wir sehen," so Pearson.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 4.7.08
->   Joel Pearson, Vanderbilt University
->   Binocular Rivalry (Vanderbilt University)
->   Binokulare Rivalität (Wikipedia)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Visuelle Entscheidungen von den Augen ablesen
->   Gehirn unterbricht vor Blinzeln visuelle Wahrnehmung
->   Sehen verbessert akustische Wahrnehmung
 
 
 
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01.01.2010