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Popularisierung von Fachsprache birgt Gefahren  
  Die Gesellschaft verlangt nach verständlichem und leicht konsumierbarem Wissen. Welche Folgen hat die daraus resultierende, neue sprachliche Vermittlung auf die Wissenschaft, speziell die Geisteswissenschaften? Die Volkskundlerin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer analysiert dies anhand ihrer eigenen Disziplin: Sie ortet einen Verlust von Kompetenz und Inhalt. Der Weg zu einer "neuen" Volkskunde führt ihrer Meinung nach über die Bereicherung alter Themen mit neuen Inhalten und die Rückbesinnung auf die fachlichen Wurzeln der Disziplin vor 1930.  
Wie viel Moderne verträgt Wissenschaft?
Von Elsbeth Wallnöfer

Die Öffnung der Wissenschaften in den letzten Jahren, die zunehmende Transparenz der Universitäten hat unweigerlich eine neue sprachliche Vermittlung der bis dahin üblichen Themen notwendig gemacht. Die Wissenschaftssprachen passten sich mehr und mehr dem Bedürfnis des schnell konsumierbaren TV-nützlichen Wissen an. Dabei muss einfach, schlicht, knapp, und möglichst ohne Verluste auf Inhalte, Wissen für nicht Eingeweihte repetierbar sein.

Dahinter steckt ein gesellschaftlicher Legitimationsdruck, der sich in ähnlicher Weise hinter der Reformidee der Wissenschaften als Institution, der Universität, verborgen hält. In gewisser Weise geht es hier um Einsicht in die Wissenschaften, um Kontrolle über das Wissen und deren Folge, um den Entzug von Macht durch die demokratische Öffentlichkeit.
Verständlichkeit verlangt
Die Entmachtung der Wissenschaften beginnt mit dem Druck, Wissenschaft verständlicher machen zu sollen, zu müssen. Demokratiepolitisch ist dies als Argument zunächst eingängig und sollte vorerst auch seine Gültigkeit haben. Aber gleichzeitig sollte die Frage nach der Wirkung dessen nach Innen nachgefragt werden. Verlieren Terminologien, die ja auch hilfreich sind, durch Popularisierung ihre Kraft?

Verzichten wir innerhalb der Fächer - immerhin ermöglicht diese Sprache uns erkenntnistheoretisch weiter zu kommen, ohne jeweils an jenen Punkt der Erklärung zurückkehren zu müssen, an dem wir Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie des Begriffes stets neu erklären müssen - auf Chancen? Ich meine ja.

Man kann gleich anfügen, vermutlich in den Geisteswissenschaften mehr als in den Naturwissenschaften, da die Nomenklatur bei letzteren axiomatisch stärker gebunden ist.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative:
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Reflexion notwendig
Wie heißt es so schön zweifelnd wie bestimmend bei Platon aus dem Munde von Sokrates: und ein Teil des Redens ist auch das Benennen. Darin verbirgt sich die Frage nach der Definitionskraft des Wortes ebenso wie die Autorität desjenigen, der sie definiert.

Die Definitionstraditionen sind je nach Wissenschaft groß, sie sind Ausdruck einer oralen und geistesgeschichtlich handwerklichen Tradition. Geben wir diese handwerkliche Tradition auf, so sollte sie nur im Zuge einer sorgfältigen wissenschaftshistorischen und -theoretischen Reflexion geschehen.
Verdrängtes Wissen
Auf einen Großteil der volkskundlichen Literatur beispielsweise aus der Frühzeit der Volkskunde, auf die frühen Texte und ihre Sprache wird verzichtet. Sie bleiben ungenutzt. Dieses Wissen, das ebenso symbolischer Ausdruck dieser Zeit ist, wird dadurch verdrängt. Das Fach kommt unweigerlich in die Lage, sich selbst (mitsamt Begriffen, Theorien und Themen) kreieren zu müssen, da ja auf Traditionen verzichtet wird.

Der Gewinn der Moderne ist es, einen großen Fundus von Theorien anbieten zu können. Die Volkskunde kann also in einen großen Topf greifen und beliebig herumlaborieren. Die Gefahr dabei uneinheitlich zu sein, ist groß. Derlei Beliebigkeit hat die Konsequenz, zu einem Eklektizismus babylonischen Ausmaßes zu führen.
Bewältigung der Vergangenheit
Was soll man davon halten, wenn ein Fach, das viel debattiert und unter dem Namen Volkskunde in der Vergangenheit weit in die österreichische Volkskultur hinein gewirkt hat (mithin Gesellschaft kreiert hat), nunmehr unter dem Namen Euroethnologie oder Europäische Ethnologie zu finden ist?

Die Hypothek der Vergangenheit kann doch nicht mit einer Umbenennung - einem reinen Akt der Camouflage - bewältigt werden, da damit - ontologisch gedacht - Identität nicht aufhört.

Der Wunsch nach dem casus tabula rasa bedeutet nichts anderes als einen Verlust in Kauf zu nehmen, der notwendig macht, was im Augenblick im Fach geschieht: Es kommt zu einem gründlichen Relativismus durch Eklektizismus, der sich in der Ungenauigkeit der Verwendung von Begriffen und ihrem wissenschaftshistorischen Kontext manifestiert.
Folgen der "neuen" Volkskunde
Die Vermengung einzelner Termini aus einzelnen Wissenschaften/Theorien (Konstruktivismus, Strukturalismus usf.) mag vordergründig klanglich zu einer neuen Volkskunde führen, inhaltlich nicht. Aus dem einfachen Grund, weil die Wissenschaften, aus denen man sich die Begriffe holt (Soziologie oder Philosophie), die Themen aufgrund ihrer traditionalen Gebundenheit besser erledigen und die Theorien besser im Griff haben.

Wir machen den Fehler, mit den alten Theorien und Begriffen auch die Themen aufzugeben und in der logischen Konsequenz auf diese Weise die Kompetenz in Sachen eigener Kultur abzugeben.
Wege zur Modernisierung
Die Anpassung des Fachs an die Moderne sollte doch auch mit alten Themen möglich sein - beispielsweise wird ganz auf die Erörterung der für Österreich bestimmenden religiösen Volkskunde verzichtet.

Die Popularisierung der Fachsprache muss nicht im Duktus der Entstehungszeit der österreichischen Institute - in den späten 1930er Jahren - erfolgen.

Es reicht, einen Weg zu finden, der darüber hinaus auf die Volkskunde vor 1930 zurückgreift, Begriffe und Themen mit neuen Inhalten füllt, auf diesem der Zweck zum Grund der Wissenschaft deutlich wird - an der Lebenswelt anzudocken -, und der TV-Bedürfnissen ebenso gerecht werden kann, ohne in eine überzogene Sprache der Moderne zu verfallen.

[14.7.08]
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Über die Autorin:
Elsbeth Wallnöfer ist promovierte Volkskundlerin und Philosophin mit Lehraufträgen an den Universitäten Graz und Wien, Autorin und Kulturmanagerin. Die gebürtige Südtirolerin hat kürzlich den Band "Maß nehmen - Maß halten. Frauen im Fach Volkskunde" (Böhlau Verlag) veröffentlicht. Seit Frühjahr 2008 ist Wallnöfer Verlegerin des Labels "marmelade".
->   Label marmelade
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01.01.2010