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Merkfähigkeit: Schon Babys verwenden Tricks  
  Wer sich eine Telefonnummer merken möchte, macht es ganz automatisch: Er teilt sie in mehrere Teile, denn Zahlengruppen bleiben leichter im Gedächtnis als eine lange Ziffernreihe. US-amerikanische Forscher haben nun festgestellt, dass bereits 14 Monate alte Kinder ähnliche Strategien der mentalen "Zerstückelung" verwenden und sich deren Merkfähigkeit dadurch deutlich verbessert.  
Bisher war man davon ausgegangen, dass das Kurzzeitgedächtnis von Krabbelkindern auf drei Objekte begrenzt ist. Durch verschiedene Arten der Strukturierung konnte diese Beschränkung aber in den aktuellen Experimenten aufgehoben werden.
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Die Studie "Conceptual knowledge increases infants' memory capacity" von Lisa Feigenson und Justin Halberda erscheint zwischen 15. und 18. Juli in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (DOI: 10.1073/pnas.0709884105).
->   Zur Studie (sobald online)
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Informationsgliederung erhöht die Merkfähigkeit
Die Kapazität des menschlichen Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt, sowohl Erwachsene als auch Kinder können sich laut den Studienautoren maximal drei Dinge gleichzeitig merken. Bei Erwachsenen fällt das allerdings kaum auf, da sie Informationen hierarchisch gliedern, wodurch sich die Zahl der Einzelobjekte deutlich steigern lässt.

So ist es etwa eindeutig schwieriger, sich an die Buchstabenfolge ORFBBCCNN zu erinnern, als daraus die drei bekannten Fernsehakronyme ORF, BBC und CNN zu machen. Laut Lisa Feigenson und Justin Halberda von der Johns Hopkins University in Baltimore basiert diese Zerteilung auf bereits bekannten Begriffen. Die kleineren Einheiten, inklusive ihrer Bestandteile, können so offensichtlich effizienter gespeichert werden.
Im Arbeitsgedächtnis hat nur wenig Platz
Erwachsene verwenden derartige Strategien automatisch, bewusst ebenso wie unbewusst. Frühere Studien haben gezeigt, dass schon Fünfjährige ihre Merkfähigkeit auf diese Weise verbessern können, wenn man ihnen explizite Anweisungen erteilt.

Bei kleineren Kindern wurde dieses Verhalten bis jetzt noch nicht beobachtet. Man hatte lediglich festgestellt, dass Einjährige sich nur dann die richtige Anzahl von Dingen merken können, wenn es nicht mehr als drei sind - die vermutete Grenze des Arbeitsgedächtnisses.
Die Suche nach versteckten Objekten
 
Bild: Will Kirk/Homewood Photographic Services

Die vierzehn Monate alte Libby ist eine aufmerksame Versuchsteilnehmerin.

Für die aktuelle Studie führten die Wissenschaftler mehrere Experimente durch. Die Grundanordnung war immer ähnlich. Der jeweils untersuchten Gruppe der Krabbelkinder wurden zuerst vier Objekte gezeigt, die darauf in einer Schachtel verschwanden.

Die Aufgabe bestand darin, die verschwundenen Dinge zu suchen. Zwei davon wurden an einem geheimen Platz versteckt. Der entscheidende Hinweis war nun, ob und wie lange die Kinder - nachdem sie die ersten beiden wieder gefunden hatten - nach dem dritten und vor allem dem vierten Objekt weitersuchten. In früheren Untersuchungen gaben sie bereits vor dem letzten auf.

Die Studienautoren versuchten daher den kleinen Studienteilnehmern verschiedene Möglichkeiten anzubieten, die Dinge zu gliedern, etwa nach Begriffen oder Kriterien der Wahrnehmung.
Ähnliche Dinge leicht zu merken
In einer Anordnung waren sich jeweils zwei der Objekte ähnlich, z.B. zwei Katzen und zwei Autos. Es zeigte sich, dass sich dadurch die Suche nach dem verschwundenen dritten und vierten Ding deutlich verlängerte - also auch die Erinnerung daran stärker war.

Dieser Effekt blieb auch erhalten, wenn sich die Objekte einer Kategorie gar nicht so ähnlich sahen, wie etwa ein grauer Sportwagen und ein Nutzfahrzeug. Das spricht laut den Wissenschaftlern in diesem Fall eindeutig für eine begriffliche Kategorisierung der Objekte, da auch die räumliche Anordnung keinerlei Einfluss hatte.
Auch sprachliche Bezeichnung hilft
Wenn alle Objekte zur selben Kategorie gehörten, konnte die Merkfähigkeit nicht verbessert werden. Außer wenn die Forscher sprachlich eingriffen: Bezeichneten sie nämlich jeweils zwei der eigentlich gleichen Objekte mit unterschiedlichen Begriffen, ergab sich offenbar für die Kinder erneut eine Möglichkeit der Kategorisierung und die Merkfähigkeit stieg.

In einem abschließenden Experiment untersuchten die Wissenschaftler, die Zahl der erinnerten Objekte nochmals zu steigern, indem sie sechs gleiche Bälle in drei gleiche Teile gruppierten. Dadurch ließ sich die übliche Anzahl von drei merkbaren Dingen sogar verdoppeln.

Generell hätten die Tests gezeigt, dass bereits Krabbelkinder ohne jegliches Training und ohne Anleitung, vielfältige Informationen - inklusive bereits gespeichertem Wissen -verwenden, um die Leistung ihres Gedächtnisses zu verbessern. Das heißt, die permanente Restrukturierung und -organisation des menschlichen Gedächtnisses zur Steigerung der Effizienz beginnt schon sehr früh.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 15.07.08
->   Lisa Feigenson
->   Justin Halberda
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01.01.2010