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Harry Potter und Co: Der Tod steht ihnen gut  
  Den eigenen Tod kann man sich laut Freud nicht vorstellen. Dafür ist unsere Kultur voll von Zeugnissen der Auseinandersetzung mit dem "Tod an sich" - gleichgültig ob sie aus der Religion, Kunst oder Wissenschaft stammen. Wie aber wird das angstbesetzte Thema in Kinderbüchern verhandelt?  
Die polnische Literaturwissenschaftlerin Katarzyna Malecka beschäftigt sich in ihrem vielsagend "To die will be an awfully big adventure" genannten Forschungsprojekt genau mit dieser Frage.

Kinderbücher wie Harry Potter seien wertvoller als psychologische Hilfswerke, die den Kindern das Thema eigentlich schonend beibringen wollen, meint sie im science.ORF.at-Interview.
science.ORF.at: Harry Potter ist ein Waisenkind, auch sein väterlicher Freund Dumbledore stirbt. Welche Rolle spielt der Tod in der Buchreihe?

Katarzyna Malecka: Prinzipiell wird andauernd gestorben in dem Buch, inklusive Harry Potters Eule. Als Waise wächst er mit dem Wissen um den Tod auf. Viel wichtiger aber ist das Sterben zahlreicher Charaktere im Verlauf der sieben Bücher. Dumbledore ist dabei zweifellos eine wichtige Person. Aber er ist ein alter Zauberer, der sein Leben bereits gelebt hat. Sein Tod hat mich nicht besonders erschüttert. Was mich stört: Rowling lässt es nicht zu, dass eine der wichtigen Kinderfiguren stirbt. Dennoch gibt es einen Tod, den ich sehr berührend fand - jenen von Dobby, dem Hauself.
Was hat Sie daran berührt?

Dobby ist vom zweiten Buch an ein guter Freund von Harry, der ihn vor den Mächten des Bösen beschützt, ihn vor seinem Widersacher Voldemort warnt. Im sechsten Buch wird er dann erdolcht. Es ist sehr schön beschrieben, wie Harry beim Tod seines Freundes einen Moment für sich braucht.

Seine Reaktion ist sehr interessant: Wenn andere Figuren zuvor durch Voldemort ermordet wurden, reagierte er zumeist wütend. Bei Dobby ist das anders, er ist in erster Linie traurig. Die anderen wollen ihn schnell verschwinden lassen, aber Harry besteht darauf, ein Grab auszuheben, ganz wie für Menschen.
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Katarzyna Malecka ist Professor für Englische Literatur an der Academy of Management, Lodz. Im Sommersemester 08 war sie Project Research Associate am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien.
->   IWM
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Harrys Gegenspieler Voldemort trägt den Tod sogar in seinem Namen ...

Voldemort selbst täuscht den Tod, er teilt seine Seele in sieben Teile und ist unsterblich. Er ist nicht nur böse, sondern wegen seiner Unsterblichkeit durchaus attraktiv, wir wollen doch alle so lange wie möglich leben. Dieser Wunsch lenkt uns oft von unserer Gegenwart ab.

Das wäre vielleicht eine erwachsene Übersetzung der Figur des Voldemort: Vielleicht geht es uns ganz gut, aber wir machen oft nicht das, was wir eigentlich wollen. Voldemort ist nicht von Natur aus schlecht, er wird schlecht, weil er unsterblich werden möchte, und das macht ihn zum Hauptfeind von Harry.
Auf der einen Seite heißt es, dass es für Kinder schwierig ist, mit Tod und Verlust umzugehen, auf der anderen Seite ist das Thema in Kinderbüchern sehr verbreitet. Wie schätzen Sie das ein?

Das ist schwierig zu beantworten. Es gibt psychologische Hilfsbücher, die einem erklären, wie man Kindern "richtig" den Tod erklärt. In dem Buch "Talking with Children and young People about Death and Dying" von Mary Turner heißt es etwa, man soll sich auf seine Gefühle konzentrieren und den Kindern erklären, dass der Tod ein natürlicher Bestandteil des Lebens ist. So in der Art: Wie die Blätter im Herbst zu Boden fallen, werden auch Menschen älter und sterben, ihr Tod ist nicht vergeblich etc.

Das ist alles sicher richtig, aber auch ein wenig naiv. Ich glaube, Kinder wissen das bereits, zumindest solange sie liebende Eltern haben, die nicht so tun, als ob das Leben ewig weitergeht. Man stößt auch als Kind überall auf den Tod, schon beim Spazierengehen, wenn man einen toten Vogel sieht.

Wenn die Eltern sie nicht belügen und ihnen vorgaukeln, dass die Vögel im nächsten Sommer wieder auferstehen werden, wenn sie selbst keine Angst haben, dann werden die Kinder damit aufwachsen und sich denken: OK, es ist hart, aber ich kann damit umgehen.
->   Talking with Children and young People about Death and Dying
Bieten Bücher wie Harry Potter vielleicht sogar bessere Möglichkeiten, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen als solche extra für Kinder geschriebenen Sachbücher?

Ich glaube schon. Harry Potter wird ja von Kindern und Erwachsenen gelesen, sie können dadurch besser miteinander drüber reden, etwa wenn die Frage auftaucht: Ist Dobby wirklich tot? Ich glaube, das tiefere Problem ist, dass Erwachsene nicht gut mit dem Tod umgehen können.

Kinder sehen tote Tiere, verlieren ihr Haustier, nach meiner Erfahrung können sie das oft schneller überwinden als Erwachsene, vorausgesetzt sie fühlen sich sicher und geliebt. Als ich zehn Jahre alt war, ist unser Hund gestorben. Meine Eltern haben tagelang geweint, ich war natürlich auch traurig, es war ja mein erster Hund, aber ich wollte schneller wieder weiterleben.
Warum ist das so?

Ich glaube, je älter wir werden, desto schwieriger wird es für uns, den eigenen Tod zu akzeptieren - man kann ihn sich laut Freud ja auch nicht vorstellen. Dazu passt auch der Spruch von Woody Allen: Ich will Unsterblichkeit nicht durch meine Werke erlangen, sondern dadurch nicht zu sterben.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 16.7.08
->   Academy of Management, Lodz
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->   Philosophin Kofman: "Dem Tod ins Gesicht sehen"
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01.01.2010