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Versuchung ist eine Frage des Geschlechts  
  Flirts mit schönen Unbekannten kommen auch in den besten und dauerhaftesten Beziehungen vor. Welche Schlüsse daraus für die Partnerschaft gezogen werden, ist geschlechtsspezifisch. Männer sehen ihre Partnerinnen danach deutlich kritischer als zuvor. Frauen tendieren hingegen danach dazu, Schwächen ihres Partners zu übersehen.  
Dies sei eine Strategie zum Schutz ihrer Beziehung, meint eine Gruppe von Psychologen um John Lydon von der McGill University in Montreal.

Männer würden im Gegensatz zu Frauen weniger glauben, dass die Flirts eine Gefahr für die Partnerschaft darstellen. Die Forscher haben die Frage, wie Männer und Frauen unterschiedlich "in Versuchung gebracht" werden, experimentell untersucht.
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Die Studie "If-Then Contingencies and the Differential Effects of the Availability of an Attractive Alternative on Relationship Maintenance for Men and Women" ist im "Journal of Personality and Social Psychology" (Bd.. 95, S. 50) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Zum Beispiel Justin Timberlake
Haben Sie sich auch schon oft gefragt, warum manche Männer reihenweise hübsche Partnerinnen haben? Nehmen wir z.B. Justin Timberlake. Erst war er mit Britney Spears zusammen, die er schon aus Kinderzeiten kannte. Dann mit Cameron Diaz und jetzt mit Jessica Biel, die er angeblich sogar ehelichen möchte.

Es kann unmöglich an seinem Gesangstalent alleine liegen, meinen auch die Sozialpsychologen John Lydon und sein Team. Vielmehr ist er mit etwas konfrontiert, was sie als "Berufskrankheit" bezeichnen.

Im Showbiz gebe es natürlicherweise eine Vielzahl von "attraktiven Alternativen" zu der aktuellen Beziehung. Und die stellen immer eine Bedrohung für die aktuelle Partnerin dar: je attraktiver, desto bedrohlicher.
Commitment und attraktive Alternativbeziehungen ...
Natürlich ist dieses Phänomen nicht nur auf die Welt der Reichen und Schönen beschränkt. Worin das Geheimnis anhaltender und über Jahre funktionierender Partnerschaften besteht, versucht nicht zuletzt die Sozialpsychologie herauszufinden.

Lydon und seine Kolleginnen zitieren eine Reihe früherer Studien, in denen zwei Begriffe eine zentrale Rolle spielen: Commitment - der Grad der Verbindlichkeit zur aktuellen Beziehung - und die "attraktiven Alternativbeziehungen", die sie im Wissenschaftsjargon passend mit "AA" abkürzen.
... hängen zusammen
Wie die früheren Studien gezeigt haben, nimmt das Commitment ab, je höher die Chance auf "AA" ist. Justin Timberlake ist also nur der Ausdruck für das AA-freundliche Klima in der Musik- und Filmbranche.

Wie die Forscher betonen, ist aber auch die Gegenrichtung des Zusammenhangs wahr: Ein höheres Commitment kann auch dazu führen, dass die Gefahren von Alternativbeziehungen bewusst gemieden und somit die Partnerschaften aktiv beschützt werden.
Experiment: Wenn Zweisamkeit gestört wird
Wie der Zusammenhang im täglichen Leben tatsächlich ist, haben die Forscher um John Lydon nun untersucht - zum ersten Mal in großem experimentellem Rahmen, wie sie betonen.

Über 700 heterosexuelle Männer und Frauen im Alter von rund 25 Jahren, die sich allesamt in funktionierenden Partnerschaften befanden, wurden insgesamt sieben Laborversuchen unterzogen.

Allen gemeinsam war die Frage: Wie fällt die Reaktion aus, wenn eine attraktive Person in die traute Zweisamkeit platzt?
Flirtende Männer bemäkeln ihre Partnerinnen
In einem Experiment wurde 71 ahnungslosen Männern eine attraktive junge Frau vorgestellt. Für eine Hälfte gab sie sich als - in einer Partnerschaft - Vergebene aus, für die andere als Single, die auch gleich mit ihnen zu flirten begann.

Unmittelbar nach dieser Bekanntschaft mussten die Versuchsteilnehmer einen Fragebogen ausfüllen, der Einstellungen gegenüber negativen Verhaltensweisen ihrer Partnerinnen abfragte - etwa wenn sie wegen der Absage eines Treffens lügen.

Männer, die vorher mit der vermeintlichen Single-Frau geflirtet hatten, vergaben der Lüge ihrer besseren Hälfte um zwölf Prozent weniger als Männer, die vorher nur die "Unerreichbare" getroffen hatten.
Frauen hingegen übersehen eher Partner-Schwächen
Das gleiche Experiment wurde umgekehrt mit 58 Frauen und einem attraktiven jungen Mann durchgeführt. Das Ergebnis war diametral entgegengesetzt.

Die Frauen, die mit dem "Single" flirteten, zeigten sich im Fragebogen viel toleranter gegenüber ihren real existierenden Partnern - sie waren gleich um 17,5 Prozent eher bereit, ihnen ihre Lügen zu verzeihen.
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Commitment heißt auch Verzeihen
Das Versuchssetting kam nicht von ungefähr: Commitment für eine Beziehung ist laut den Forschern auch die Fähigkeit, über Schwächen des Partners hinwegzusehen und Fehler zu verzeihen.
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Geschlechtsspezifische Beziehungsarbeit
Jetzt kann man natürlich sagen: typisch Mann - Männer sind tendenziell unterleibsgesteuert und kaum bietet sich wo eine bessere Alternative zur aktuellen Partnerin, schon mäkeln sie an ihr rum.

John Lydon sieht das anders: "Wir glauben, dass Männer und Frauen die Situation nur anders interpretieren. Männer sehen den Flirt nicht als Gefahr für die aktuelle Beziehung an. Wenn sie das täten, würden sie auch um die Beziehung kämpfen."

Und zwar in etwa so, wie es die Frauen schon jetzt bei den Experimenten getan haben: Ihre Reaktion wird von den Psychologen nämlich dahingehend interpretiert, dass sie, gerade weil sie den attraktiven Single als Gefahr für ihre Beziehung betrachten, umso stärker für sie arbeiten - und über Schwächen ihres Partners umso eher hinwegsehen.
Auch Männer können lernen
Die gute Nachricht für alle, die Gleichberechtigung für wertvoll erachten: Auch Männer in Beziehungen können lernen, "mit attraktiven Frauen nicht zu flirten".

Das war zumindest das Resultat eines weiteren Experiments von Lydon und seinen Kolleginnen, in denen sich die Männer vor den virtuellen Flirts ausdrücklich eine "Strategie zum Schutz ihrer Beziehung" überlegen sollten. Sie fanden die attraktive Versuchung danach tatsächlich weniger attraktiv.

Frauen brauchen laut Lydon ein solches Training nicht: "Frauen werden so sozialisiert, dass sie vor den Avancen attraktiver junger Männer auf der Hut sind", zeigt sich der Psychologe überzeugt.
Von Liebe keine Spur
Übrigens: Das Wort "Liebe" kommt in der Studie außer im Zusammenhang mit Kindern und Forschung nicht vor.

Ersetzt wird es komplett durch das erwähnte "Commitment": Der Begriff wird vor allem in der Organisationspsychologie verwendet - und verweist somit mehr auf Logik und Struktur der Warenwelt als auf die Gefühle, die für die Romantik einst so wichtig gewesen sind.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 17.7.08
->   John Lydon, McGill University Montreal
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Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 16. Juli 2008. 21:01 Uhr:
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01.01.2010