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Sprache der Mathematik ist universell  
  Formeln und Funktionen - die Sprache der Mathematik wird über Länder- und Sprachgrenzen hinweg verstanden. Der Mathematiker Norbert Mauser erklärt, warum mathematische Symbole "ohne Worte" erkannt werden können. Aber nicht jeder ist in der Lage, einfache Problemstellungen zu verstehen. Der Grund: Mangelnde Grundkenntnisse. Der START-Preisträger und Direktor des Wolfgang Pauli Instituts plädiert daher für eine bessere mathematische Allgemeinbildung.  
Sprechen Sie Mathematik!
Von Norbert Mauser

"Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben" (Galilei)

Die Sprache der modernen Mathematik ist die präziseste Ausdrucksweise menschlichen Denkens. Jeder Begriff ist sauber definiert: wenn etwa von einer "stetigen Funktion" die Rede ist, gibt es keinen Platz für Diskussionen darüber, was gemeint ist - während bereits in der Physik etwa mit dem Wort "Energie" ganz Verschiedenes bezeichnet sein kann. In der Tat greifen Physiker auf mathematische Formeln und Gleichungen zurück, wenn sie präzise und eindeutig sein wollen, gemäß dem berühmten Spruch von Galileo Galilei.

Die mathematische Modellierung und die numerische Simulation ist zunehmend der gemeinsame Nenner von "interdisziplinärer" Forschung in Mathematik, Physik, Biologie bis hin zu Finanz- und Wirtschaftswissenschaften. Wer etwas "ausrechnen will", wer eine Computersimulation machen will, der ist gezwungen, eine klare Modellierung in mathematischen Symbolen zu machen - was der "Elchtest" sein kann, wo Schwächen und Mängel eines vorher nur verbal formulierten Modells offensichtlich werden.
Sprachliche Präzision
Mathematik ist die Grundlage aller Wissenschaft und sollte Teil jedes universitären Studienplans sein, nicht nur weil der Grad der Mathematisierbarkeit eines der Kriterien für den Grad der Wissenschaftlichkeit an sich ist, sondern auch weil in Mathematik eine sprachliche Präzision des Ausdrucks gelernt wird, die vielen anderen Gebieten sehr gut täte.

Dass viele österreichische Mathematiker Schwächen haben, das Wesentliche der Mathematik "hinüber zu bringen" für Nichtmathematiker, das macht diesen allgemeinen Bildungsauftrag der Mathematik nur noch wichtiger in einem Land, wo mathematisches Analphabetentum als schick gilt.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative:
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Formeln sind universell
Mathematische Aussagen beruhen auf möglichst einprägsamen und ständig gleich verwendeten Symbolen und werden über Länder- und Sprachgrenzen hinweg in gleicher Weise verstanden: "Ohne Worte" wird ein Ausdruck wie "x + 4 = 7" überall auf der Welt problemlos erkannt und gelöst, ebenso wie Formeln in der Physik und vielen Natur- bzw Ingenieurswissenschaften.

Beim 2. Newtonschen Gesetz "F = m a" - "Force equals mass times acceleration" wird zu "F = m . a" - wird die internationale Lesbarkeit erleichtert, weil viele Worte in Latein und Englisch gleiche Anfangsbuchstaben haben.
Einheitliche Symbolik von Vorteil
Umgekehrt ist es oft möglich, aus mathematischen Publikationen in einer unbekannten Fremdsprache das Wesentliche abzulesen - denn die Symbole, aus denen Theoreme und Beweise meist im Kern bestehen, sind fast immer ident. Dazu ist förderlich, dass die moderne Mathematik sehr diszipliniert in der einheitlichen Verwendung von Symbolen und Formalismen ist: So wurden die Lehren aus sinnloser Vielfalt gezogen.

Etwa, dass die englische Mathematik jahrzehntelang behindert wurde, weil die unnötig komplizierte Notation der Differentiale von Newton verwendet wurde. Im Gegensatz zu Kontinentaleuropa, wo sich die viel effizienteren Leibniz-Symbole dy/dx rasch durchgesetzt hatten, die ein schönes Beispiel für die Kraft der modernen mathematischen Sprache sind.
Grenzen der Formelsprache
Ist die Sprache der Mathematik allmächtig!? Nein, auch sie hat Grenzen, wie Gödel bewiesen hat. Selbst in der Sprache der Mathematik kann nicht jede Behauptung überprüft werden - in folgendem Sinn: Was immer man für Grundannahmen macht, es wird immer Sätze geben, die man nicht durch logische Argumente als wahr oder falsch entscheiden kann. Jedes System von Axiomen bleibt unvollständig.

Auch wenn es nicht nur für Einstein ein großes Wunder ist, dass die Natur sich so wunderbar in mathematischen Gleichungen formulieren lässt, so ist das wohl eher eine Projektion des menschlichen Geistes als ein Beweis für einen Mathematik-Gott - auch dieser könnte keine Menge aller Mengen schaffen, die sich nicht selbst enthalten.
Inhaltliche Barrieren
Ist Mathematik eine elitäre Sprache!? Ja, ganz sicher: Während es für viele Mathematiker kein Problem ist, Publikationen anderer Gebiete zu lesen und sogar inhaltlich zur Gänze zu verstehen, ist es umgekehrt z.B. für einen Historiker oder Biologen in der Regel völlig unmöglich, mehr als einen extra allgemein in Worten gehaltenen Abstract einer Mathematikarbeit zu lesen.

Es kann hier auch nicht all zuviel getan werden: Sobald ein Mathematiker sagen soll, was an einer tollen Publikation das spezifisch Neue ist, gibt es meist einfach keine Möglichkeit, das für Laien verständlich auszudrücken, schon gar nicht in drei Minuten.
Grundverständnis notwendig
Freilich kann das verbessert werden: Ein Ausdruck wie "renormalisierte Lösung der Boltzmanngleichung" ist erklärbar für jemand, der im Rahmen einer guten Mittelschulausbildung ordentlich vermittelt bekommen hat, was eigentlich eine (Differential)Gleichung ist und warum man es sich aussuchen kann, ob die Gleichung "x zum Quadrat ist minus 4" keine oder zwei Lösungen hat.

Um endlich die mathematische Allgemeinbildung zu heben, ist es essenziell, dass Mittelschullehrer jene profunde Ahnung der Grundlagen der Mathematik und ihrer Sprache haben, wie sie nur an der Universität vermittelt werden kann - von Leuten, die mathematische Forschung betreiben, wo der Blick für das Wesentliche täglich neu geschärft wird.
Angewandte Mathematik für alle
Leichter liegen die Dinge in der "Angewandten Mathematik", wo zwar die verwendete "reine" Mathematik nicht leicht zu vermitteln ist, wohl aber das "was" und "wozu": Wer mit "inversen Problemen" die Wandstärke eines Hochofens in Betrieb ausrechnen kann oder eine deutlich verbesserte Auflösung von Ultraschallbildern von Ungeborenen erreicht, der vermittelt der Öffentlichkeit und dem Fördergeber mit Leichtigkeit, dass hier etwas sehr Sinnvolles geforscht wird - auch wenn niemand versteht, wie schwer die Mathematik dahinter ist.

Die Brücke der Kommunikation wird also wohl am effizientesten durch gute Angewandte Mathematiker geschlagen - die Akademie der Wissenschaften spielt hier eine Pionierrolle etwa mit den "Radon-Lectures", oder das Wolfgang Pauli Institut, das im Dezember ein "Pauli Symposium" zur Mathematik in den Finanzwissenschaften macht.

[18.7.08]
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Über den Autor:
Norbert Mauser ist Professor für Mathematik an der Uni Wien und
Direktor des interdisziplinären Wolfgang Pauli Instituts. Als Koordinator grosser Projekte zum Thema "Differentialgleichungen in Physik und Biologie" gehört die Kommunikation der Mathematik zu seinem täglichen Brot.
->   Norbert Mauser
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01.01.2010