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Ökonomische Strategie gegen Doping  
  Nach der Tour de France ist vor Olympia: Da wie dort ist Doping ein Dauerbrenner. Eine Möglichkeit, sich dem Phänomen zu nähern, ist es als Kosten-Nutzen-Rechnung der Athleten zu verstehen. Genau das tut Wolfgang Maennig, Ökonom an der Universität Hamburg und ehemaliger Olympiasieger im Rudern.  
Er hat eine Antidoping-Strategie parat, die auf wirtschaftlichen Überlegungen beruht: U.a. sollten die Hälfte der Siegesprämien und Sponsorengelder ihr zufolge in einen Fonds eingezahlt werden, der nur ausgezahlt wird, wenn die Athleten ihre Karriere "sauber" beendet haben.

Im gegenteiligen Fall würde das Geld an die Geschädigten gehen - die anderen Konkurrenten.
science.ORF.at: Warum dopen Sportler?

Wolfgang Maennig: Weil es sich lohnt. Weil die Vorteile des Dopings die Nachteile überwiegen.
Eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung des Sportlers?

Ja, wobei die Moral natürlich auch eine Rolle spielt. Sportler dopen nur dann, wenn ihr Nettonutzen so groß ist, dass er die Nutzenverluste aus der Verletzung der eigenen Moralvorstellung und vielleicht der Gesundheit übersteigt.
Was sind Kosten und Nutzen des Dopings, wie Sie es nennen?

Bruttonutzen sind Siegprämien, Startgelder, Werbeverträge und so etwas wie die Siegesehre. Es gibt ja auch Sportarten, in denen wenig Geld zu verdienen ist und dennoch gedopt wird. Die Kosten des Dopings sind die Tatvorbereitung: Es ist ja gar nicht so einfach, an die Mittel heranzukommen, Sie müssen den richtigen Arzt kennen, vielleicht müssen Sie dazu nach Spanien fliegen. Die Substanzen selbst sind teuer, eine EPO-Kur kostet 400 Euro pro Woche. Dazu kommen Opportunitätskosten: Das sind alle Erlöse, die der Sportler ohne Doping hätte haben können.
Was lässt sich in dieser Logik gegen Doping unternehmen?

Die Sportler sind nicht alleine verantwortlich, sondern eine ganze Reihe von Playern. Zuallererst muss man sagen: Gedopt wird v.a. dort, wo es sich technisch stark lohnt. Beim Sprinten in der Leichtathletik, bei Kraftsportarten wie Gewichtheben, bei Ausdauersportarten wie der Tour de France. Hier ist der Nutzen des Dopings besonders hoch. Segeln etwa ist viel weniger dopinganfällig.
Im deutschen Rudersport hat es nach Ihren Angaben in 125 Jahren noch nie einen Dopingfall gegeben - dabei ist die Belastung dem Radsport nicht unähnlich. Wieso?

Ganz sicher nicht, weil Ruderer die besseren Menschen sind. Aber Doping ist teuer, und Ruderer sind meist Studenten am Existenzminimum, die können sich das schlicht nicht leisten.
Wie war das bei ihnen persönlich?

Ich gebe zu, ich habe als Aktiver auch an Doping gedacht. Aber meine Ärzte waren immer total taub dafür. Und auch nicht weil sie so moralisch waren, sondern so jung. Sie befanden sich in der Habilitationsphase und hätten den Teufel getan, uns Dopingmittel zu geben und so ihre Karriere zu riskieren.
Zurück zur Frage der Verantwortung - Stichwort Sponsoren und Medien.

Gefährdet sind nicht nur Sportarten, bei denen Doping besonders viel bringt, sondern auch die Mediensportarten. Marketingexperten betrachten Sportler als Zuschauer-Kontakt-Produzenten, die in der Lage sind bei ihrer Leistung sehr viele Menschen an den Fernseher zu holen. Entsprechende Banner auf ihren Körpern sind für die Werbeträger ideal.

Die Sponsoren sollten deshalb einen Mechanismus entwickeln, sich bei Dopingfällen sofort zurückzuziehen. Das ist nicht selbstverständlich, würde aber eine wirksame Existenzbedrohung für dopende Athleten bedeuten.

Die Medien wiederum haben eine Verantwortung, weil sie die Aufmerksamkeit immer nur auf die Sieger richten. Das führt zu einer großen Spreizung der Einkommen und Doping wird besonders sinnvoll.
Aber dass einer gewinnt, ist doch das Wesen des Sports.

Ja, aber die Frage ist, ob es richtig ist, uns nur auf diesen zu konzentrieren. Gerade die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben auch pädagogische Aufgaben zu erfüllen. Und die Botschaft kann nicht sein: Wenn du nicht siegst, bist du gar nichts. Sondern eher: Es lohnt sich zu gewinnen, aber auch ein vierter Platz ist etwas, auf das man stolz sein kann. Letztlich haben auch die Zuschauer eine Verantwortung. Wenn wir das Fernsehgerät ausschalten, übertragen die Fernsehsender von alleine nicht mehr.
Last but not least: die Pharmaindustrie.

Auch die könnte besser helfen, etwa in dem sie sich verpflichtet, die Produkte, die sie auf den Markt bringt, der Weltantidoping-Behörde zu melden, damit sie schon vorab Tests entwickeln können. Das würde den zeitlichen Vorsprung verringern, den die Doper haben. Sie könnten den Test natürlich auch gleich selber entwickeln, in einer Art Selbstverpflichtung.
Wie müsste ein Strafensystem sein, das effektiv Doping bekämpft?

Derzeit liegen die Strafen für Doping bei zwei Jahren Wettkampfverbot. Älteren Sportlern ist das z.B. egal, die stehen sowieso vor dem Karriereende. Alleine deshalb sollten wir eine andere Form der Bestrafung finden. Ökonomen denken gerne an Geldstrafen, weil die nicht mit Kosten für die Allgemeinheit verbunden sind.

Gegen Geldstrafen spricht das Argument, dass man das Geld bei Sportlern nicht so leicht eintreiben kann. Eine Lösung dafür wäre, dass man den Athleten ihre Siegprämien und Marketinggelder nicht komplett ausbezahlt, sondern etwa die Hälfte in einen Investmentfonds anlegt. Und die wird erst ausgezahlt, wenn sie ihre Karriere sauber beendet haben.

Werden sie beim Dopen erwischt, verfällt dieser Fonds zugunsten der Geschädigten, d.h. der anderen Athleten. Gerade ältere Sportler hätten viele dieser Fonds angesammelt und würden sich vermutlich hüten zu dopen.
Wie wäre das exekutierbar?

Nehmen wir die Leichtathletik: Hier gibt es eine Reihe großer Meetings, die gemeinsam Preise ausschreiben. Die Veranstalter könnten sich zusammenschließen und das Halbe-Halbe-Modell durchziehen - die zweite, etwa in Staatspapieren angelegte Summe wird erst nach Karriereende ausbezahlt. Anlegen könnte das eine übergeordnete Sportbehörde oder die Organisatoren selbst.
Haben Sie auch ausgerechnet, wie hoch effektive Geldstrafen sein müssten?

Im Weltradsportverband gibt es erst seit zwei Jahren die Möglichkeit von Geldstrafen, im Umfang von einem Jahresgehalt. Ich weiß nicht, ob das hoch genug ist. Sportler rechnen sich aus, wie viel sie mit Doping gewinnen können und wie hoch die Überführungswahrscheinlichkeit ist.

Nehmen wir ein Jahresgehalt von 500.000 Euro an, und die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden liegt bei zehn Prozent, so liegt der Erwartungswert der Bestrafung bei nur 50.000 Euro. Eine wirkungsvolle Strafe müsste deshalb bei fünf Millionen Euro liegen. Sonst schreckt sie nicht ab.

Das ist wie im Steuerstrafrecht: Sie müssen die Steuern nachzahlen und dazu noch einen Aufschlag, wenn Sie Steuern hinterziehen.
Wie realistisch ist die Einführung solcher Strafen im Sport?

Ach, Ökonomen haben es oft schwer sich durchzusetzen, weil ihre Forderungen oft kalt wirken. Aber letztlich ist unsere Gesellschaft stark übers Geld geregelt. Wenn der Leidensdruck größer wird, bin ich sicher, dass z.B. Sportveranstalter ganz schnell ähnliche Regeln einführen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 28.7.08
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Wolfgang Maennig hat bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul für Deutschland im Ruder-Achter die Goldmedaille gewonnen. Heute ist er Professor für Volkswirtschaft an der Universität Hamburg.
->   Wolfgang Maennig, Universität Hamburg
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01.01.2010