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Nachhaltigkeit: Medien verwässern Begriff  
  Was verstehen Medien unter "Nachhaltiger Entwicklung"? Wie vermitteln sie zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Vorstellungen? Diesen Fragen widmet sich das Projekt "proVision" - unter anderem am Beispiel des Themas Hochwasser. Karin Chladek liefert einen Zwischenbericht: Katastrophenberichterstattung steht nach wie vor im Vordergrund, wissenschaftliche Erkenntnisse werden medial zu wenig wahrgenommen.  
Hochwasser, Nachhaltigkeit und Medien
Von Karin Chladek

Nur wenige Begriffe werden in der breiten Öffentlichkeit als so sperrig und gleichzeitig schwammig empfunden wie "Nachhaltigkeit" oder "Nachhaltige Entwicklung".

Viele Journalisten und Praktiker aus der Bildungsarbeit betrachten den Begriff "Nachhaltigkeit" als ungeeignet für die Vermittlung von Inhalten und meiden ihn deshalb. Stattdessen plädieren sie dafür, seine Aspekte anhand von konkreten Beispielen verständlich zu machen.
Modewort Nachhaltigkeit
Wie wird nun tatsächlich über Themen berichtet, die sich im Spannungsfeld zwischen Sozialem, natürlicher Umwelt und wirtschaftlichen Erwägungen befinden? Werden die komplexen Zusammenhänge, für die "Nachhaltigkeit" steht, von journalistischer Seite bei konkreten Themen aufgegriffen, reflektiert und vermittelt?

Fließen wissenschaftliche Erkenntnisse in die Berichterstattung ein? Was ergab die Analyse österreichischer Tages- und Wochenzeitungen sowie Nachrichtenmagazine zum Fallbeispiel Hochwasser?
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Projekt "proVision"
Das am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Universität Klagenfurt ausgeführte Projekt widmet sich der Frage "Welche Wissenschaftskommunikation braucht der Dialog über Nachhaltigkeit mit der Gesellschaft?" und erörtert dies anhand zweier Fallbeispiele: der Berichterstattung österreichischer Printmedien über Ernährung und über Hochwasser.
->   proVision
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Hochwasser: Breite Berichterstattung
In Österreich gab es in den letzten Jahren immer wieder Hochwasserereignisse, die zu massiven Schäden führten. Nicht nur das dramatische Hochwasser im August 2002, das viele Flüsse in ganz Mitteleuropa und auch in Österreich über ihre Ufer treten ließ, auch regional begrenzte Hochwässer wie jene im August 2005 und im April 2006 fanden rege mediale Aufmerksamkeit.

Im Zuge des Hochwassers 2002 wurde ein breites Spektrum an Aspekten medial thematisiert. Vor allem Boulevardmedien deuteten das Hochwasser als Hybris der Menschheit gegenüber der Natur, die nun "zurückgeschlagen" hätte. Rhetorisch wurden vielfach biblische Bezüge wie beispielsweise zur Sintflut oder zur Apokalypse hergestellt. Teilweise wurden auch biblische Bilder und Bilder aus den Wissenschaften miteinander verbunden.
Unseriöse Ursachensuche
Sowohl in so genannten Qualitäts-, als auch Boulevardmedien wurde bald nach dem Auftreten der ersten Fluten - begleitend zur klassischen Katastrophenberichterstattung - die Frage diskutiert, ob das außergewöhnliche Hochwasser eine Folge des Klimawandels sei.

Aber nicht nur der Klimawandel wurde als Ursache der Flut zum Thema: Vereinzelt wurde in Interviews von verschiedenen Wissenschaftlern auch eine fehlerhafte Raumplanung kritisiert, durch den Bauboom der letzten Jahrzehnte verloren gegangene Retentionsräume thematisiert, sowie Bürgermeister und Gebietskörperschaften genannt, die Baugenehmigungen in Hochrisikozonen ausgestellt hatten.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative:
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Thematische Ausschlachtung
Erklärbar ist diese recht vielfältige Berichterstattung 2002 unter anderem mit der medialen Logik: Je weitreichender und länger andauernd ein Ereignis ist, desto mehr überregionale und regionale Medien widmen sich der Berichterstattung und suchen nach neuen Aspekten, die andere Medien noch nicht genannt haben.

Doch vieles wird nur einmal erwähnt, ohne in der Berichterstattung weiter verfolgt zu werden. Auch die weitaus häufigeren, regional begrenzten Hochwässer haben für die betroffenen Regionen massive Folgen, über die vor allem die jeweiligen Regionalmedien berichten.
Falsches Bild von Nachhaltigkeit
Im Sinne der Nachhaltigen Entwicklung stellt sich die Frage, wie mit diesen regionalen Ereignissen umgegangen wird, welche Zusammenhänge wahrgenommen und welche Konsequenzen für die Risikovorsorge in den Regionen gezogen werden.

Insbesondere Regionalmedien transportieren, spiegeln oder verstärken im Zusammenhang mit Hochwasser zuweilen ein Bild von "Nachhaltigkeit", das zu denken geben sollte: Üblicherweise wird über Hochwasser nur im Anlassfall berichtet, und dann mit den Mitteln der klassischen Katastrophenberichterstattung.
Keine kritische Reflexion
Opfer des Hochwassers und Helfer in der Not stehen im Vordergrund der Berichterstattung, der soziale Zusammenhalt in der Region wird beschworen. Vor allem aber wird eine möglichst vollständige Wiederherstellung des Zustandes vor dem Hochwasserereignis als erstrebenswert dargestellt.

Fragen nach den Ursachen oder gar Schuldigen der Überschwemmungen werden von Kommentatoren wiederholt als "nicht hilfreich" kritisiert. Dafür sei "später" Zeit genug, vorerst müsse wiederaufgebaut werden. Am Beispiel der Regionalberichterstattung im Zuge des Dammbruchs an der March (NÖ) im Frühjahr 2006 wird dies besonders deutlich. Auch wissenschaftliche Erklärungen werden als unsolide bzw. unsolidarisch zurückgewiesen.
Kaum Interesse an Forschung
Auch wenn es verständlich ist, dass Lokal- und Regionalmedien vor allem die Perspektive der unmittelbar betroffenen Bevölkerung einnehmen und den Wunsch, es solle möglichst rasch "die Heimat wiederhergestellt werden", transportieren: Es ist auffällig, dass Erkenntnisse der Wissenschaften in Regionalmedien kaum Eingang finden. Allenfalls werden Presseaussendungen von regional tätigen Umwelt-NGOs abgedruckt - meist erst Wochen nach dem Ereignis.

Wie könnten Wissenschaftler in diesen medialen Diskurs einhaken? Sie könnten etwa daran erinnern, dass das "heimatlich" vertraute Landschafts- und Ortsbild vor der Überflutung keineswegs "immer schon" gegeben war, sondern in vielen flussnahen Regionen Österreichs und ganz Europas erst in den 50er bis 70er Jahren durch massive Eingriffe in die Flussdynamiken geschaffen wurden. Dies gilt ebenso für Überlegungen, wie die Raumplanung mit veränderten klimatischen Verhältnissen umgehen sollte.
Hilfreiche Forschungserkenntnis
Wissenschaftler sollten Regionalmedien als potenzielle Partner wahrnehmen: Die Tatsache, dass vor allem Regionalmedien vorrangig "Solidarität mit den Betroffenen" einfordern, ist zwar ein Hindernis, kann aber auch von wissenschaftlichen und politischen Akteuren als Chance genutzt werden.

Denn wird einerseits Kritik an vergangenen Entscheidungen (z.B. Flächenwidmungen) so oft als "unsolidarisches" Verhalten unterdrückt, besteht andererseits doch die Möglichkeit, mit einem erweiterten Verständnis von sozialem Zusammenhalt Anschluss an den medialen Diskurs zu finden.
Gesellschaftliches Verständnis
Es braucht ein gesellschaftliches Verständnis dafür, dass der scheinbar statische, auf "einfache" technische Lösungen zentrierte Umgang mit Risiken, wie er in den letzten Jahrzehnten üblich gewesen ist, kaum mehr Lösungen für die Zukunft bieten kann. Dieses Verständnis können Medien unterstützen - sofern man ihre jeweiligen Kontexte begreift und darauf eingeht.

Wenn es der Wissenschaft gelingt, ihre Analysen auch als Hilfestellungen für die Betroffenen zu präsentieren, können diese auch von Regionalmedien leichter medial im Sinne der Nachhaltigkeit aufgegriffen und vermittelt werden.

[4.8.08]
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Über die Autorin:
Karin Chladek ist Journalistin und Mitarbeiterin des proVision-Projekts "Welche Wissenschaftskommunikation braucht der Dialog über Nachhaltigkeit mit der Gesellschaft?" am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Klagenfurt.
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01.01.2010