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Venus von Willendorf: 100 Jahre Rätseln  
  Die "Venus von Willendorf" zählt zu den bekanntesten altsteinzeitlichen Fundstücken Österreichs. Die elf Zentimeter große, rund 25.000 Jahre alte Kalkstein-Statuette wurde vor 100 Jahren, am 7. August 1908, in Willendorf in der Wachau entdeckt. Bis heute gibt sie der Forschung Rätsel auf.  
Unklar ist bis heute, wofür die rundliche Dame steht - ist sie ein Fruchtbarkeitssymbol, eine Göttin oder eine erotische Figur? Auch der Herstellungsort der Venus ist nach wie vor unbekannt.
Beim Bau einer Bahntrasse entdeckt
Bild: APA
Nachdem bereits Ende des 19. Jahrhunderts Ausgrabungen bei dem kleinen Wachauer Ort Willendorf durchgeführt wurden, begleiteten Archäologen den Bau einer Bahntrasse in der Gegend mit Grabungen.

Schon nach wenigen Tagen stießen sie unter einer zur "Schicht 9" zählenden Ascheschicht auf die Figur. Gleich einen Tag nach ihrer Entdeckung wurde die "Venus von Willendorf" in das NHM in Wien transportiert, wo sie seither als das prominenteste Sammlungsobjekt der Altsteinzeit behütet wird.

Die Statuette zählt zudem zu den am meisten abgebildeten prähistorischen Kunstobjekten - das belegen die Anfragen nach Abbildungsrechten, die an das NHM gestellt werden.
Original seit zehn Jahren zu sehen
90 Jahre lang schlummerte die ursprünglich dick mit roter Farbe bemalte nackte und beleibte Frauenfigur im Tresor. Der Öffentlichkeit wurde sie erstmals 1998 im Rahmen der Ausstellung "4 Millionen Jahre Mensch" im Schloss Schönbrunn gezeigt.

Gemeinsam mit der eigens dafür angeschafften Hochsicherheitsvitrine übersiedelte die "Venus" anschließend wieder ins NHM, wo sie seither im Original zu sehen ist, erzählt Antl-Weiser von der Prähistorischen Abteilung des NHM, die "Hüterin" der Steinzeitfigur. Bis 1998 war im Museum nur eine Kopie der Statuette zu sehen.
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Mehrere Veranstaltungen zum Jubiläum
Anlässlich dieses Jubiläums beherbergt das Landesmuseum Niederösterreich in St. Pölten im Rahmen der Ausstellung "Mammut, Mensch & Co" noch bis zum 7. August die "Venus", bevor sie ab dem 8. August - nach einem nur einige Stunden andauernden Zwischenstopp an ihrem Fundort in Willendorf - als Mittelpunkt einer Ausstellung in das Naturhistorische Museum (NHM) in Wien zurückkehrt.
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Was stellt sie dar?
Was die Figur genau darstellt - das ist seit 100 Jahren in der Forschung umstritten: Erotika, Fruchtbarkeitssymbol und Götterstatue lauten die Deutungen. "Es gibt viele Möglichkeiten", so Walpurga Antl-Weiser. Nur eines sei sicher: "Man wollte ganz bewusst eine Frau darstellen."

"Die Venus ist wissenschaftlich ein wertvoller Fund, weil wir das Gefühl haben, über sie in die Gedankenwelt der eiszeitlichen Menschen eindringen zu können - was uns natürlich nur in sehr bescheidenem Maße gelingt", so Antl-Weiser.
These vom Fruchtbarkeitssymbol heute relativiert
Zwar deuteten einige Wissenschaftler bei der Figur die starke Betonung der Geschlechtsmerkmale wie etwa der Brüste als Fruchtbarkeitssymbol, doch das wird heute sehr relativiert, "weil die Venusfiguren doch oft reifere Frauen jenseits der fruchtbaren Jahre darstellen".

Eine weitere Überlegung, die für die Prähistorikerin dagegen spricht: "Für Jäger ist sicher eine übermäßige Fruchtbarkeit auch nicht das wünschenswerteste".

Zu viele Gruppenmitglieder konnten nur schwer über die Runden gebracht werden, zu viele Kinder hätten auch die Mobilität der als Jäger und Sammler lebenden Menschen behindert.
Real existierende Vorbilder?
Grafik : APA, Quelle: APA, NHM
Steinzeitliche Funde in Österreich
Die Funde von Venusfiguren in Europa - mit zwar individuellen Unterschieden, aber gewissen Gestaltungsähnlichkeiten - würden zeigen, dass die Frauendarstellungen eine Idee verkörperten, die über den ganzen Kontinent verbreitet war.

Es fehlten in der Regel die Füße und das Gesicht, die Arme waren verkleinert oder nicht vorhanden, die Geschlechtsmerkmale deutlich ausgeprägt.

"Es muss Personen gegeben haben, die als Anschauungsobjekt dienten", so Antl-Weiser. Darauf deutet das naturalistische Aussehen, etwa von Fettpolstern um die Knie und im Hüftbereich. Die Prähistorikerin ist sich aber sicher, dass es sich nicht um ein Eins-zu-Eins-Abbild einer damals lebenden Frau handelte, da die Proportionen nicht stimmen.
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Venusfiguren weit verbreitet in Europa
Die "Venus von Willendorf" ist eine der bekanntesten der in Europa verbreiteten Venus-Figuren. In den 1920er und 30er Jahren waren noch eine ganze Reihe von relativ vollständigen Statuetten gefunden worden, so etwa in den Pyrenäen (Frankreich), in Mähren (Tschechien) und in Kostienki (Russland).
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Hoffnung auf weitere Funde
Teilweise sind die Figuren sehr kunstvoll angefertigt. "Man glaubt aber nicht, dass die Figuren Kunst zum Selbstzweck waren. Für die Altsteinzeit ist man eher geneigt, sie in einem rituellen Zusammenhang zu sehen", so die Expertin.

Ob ein sakraler Zweck dahinter steht, wissen die Forscher nicht. "Letzte Weisheit werden wir wahrscheinlich nie erlangen, weil wir nicht in die Gedanken der Menschen schauen können." Die Hoffnung der Forscher ruht auf den Fundzusammenhängen, die weitere Puzzlestückchen zur Geschichte der Venus liefern könnten.
Auch Entstehungsort unklar
Auch hinter der Herstellung stehen noch einige Fragezeichen. "So haben wir bisher keinen Hinweis dafür gefunden, wo die Venus von Willendorf angefertigt worden ist", so die Prähistorikerin.

Denn noch wurden von dem Kalkstein, dem Rohmaterial der Frauendarstellung, keine Bearbeitungsrückstände in den über die Jahrtausende abgelagerten Sedimentschichten gefunden.

Allerdings habe man auch nicht auf dem gesamten Gebiet des ursprünglichen Lagerplatzes gegraben - an anderen Stellen könnte sich doch noch entsprechendes Material verstecken.
Material stammt vermutlich aus Mähren
Als eines der vielen Rätsel, die die Statuette den Forschern aufgibt, stellt sich bis heute auch noch die Frage nach dem Ursprung des Rohstoffs. Der Venus-Stein besteht aus dicht gepackten "Einzelooiden", also runden kalkigen Partikeln, in festem Gesteinsverband.

Aus Anlass des Fund-Jubiläums beauftragte das NHM den deutschen Geoarchäologen Alexander Binsteiner, nach der Quelle für den verwendeten Kalkstein zu fahnden.

Sein Ursprung liegt laut Geologen vermutlich in Mähren, wie Antl-Weiser in ihrem im April erschienen Buch "Die Frau von W." schreibt.

[science.ORF.at/APA, 6.8.08]
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Buchhinweis
Walpurga Antl-Weiser: Die Frau von W. - Die Venus von Willendorf, ihre Zeit und die Geschichte(n) um ihre Auffindung. Verlag des Naturhistorischen Museums Wien 2008
->   Mehr über das Buch
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->   Ein Fest für die Venus von Willendorf
->   Venus-Museum in Willendorf
->   Naturhistorisches Museum Wien
 
 
 
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01.01.2010