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Fehlverhalten: Kein Grund für Karriereende?  
  Wird ein Forscher überführt, Inhalte abgeschrieben oder erfunden zu haben, ist seine Karriere zu Ende - sollte man meinen. Zwei US-Forscher haben über einen Zeitraum von acht Jahren recherchiert, wie es des Fehlverhaltens überführten Wissenschaftlern ergangen ist. Es zeigte sich: Manchmal geht das Leben nahezu wie vorher weiter.  
Barbara Redman (Wayne State University in Detroit) und Jon Merz (University of Pennsylvania) haben insgesamt 28 Forscher ausfindig gemacht, die zwischen Jänner 1994 und Dezember 2001 vom U.S. Office of Research Integrity wegen Fehlverhaltens schuldig gesprochen wurden.

Sieben davon stimmten einem Interview zu und boten dadurch teils sehr persönliche Einblicke, welche Konsequenzen (oder auch nicht) es hat, die wissenschaftliche Gemeinde zu betrügen.
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Der Beitrag "Scientific Misconduct: Do the Punishments Fit the Crime?" ist am 8. August 2008 im Policy Forum von "Science" erschienen (Band 321, DOI:10.1126/science.1158052).
->   Zum Abstract
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Zentrale Stelle für medizinische Forschung
Während etwa in Österreich der Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten eine Angelegenheit der einzelnen Universität bzw. Forschungseinrichtung ist, gibt es in den USA zumindest für medizinische Forschung eine zentrale Stelle, an die man sich bei Verdacht auf Plagiarismus, Fälschung oder Missinterpretation wenden kann.

Dass es dieses Office of Research Integrity (ORI) gibt, ermöglichte eine Analyse, wie sie Redman und Merz vorhatten: herauszufinden, welche Konsequenzen eine Verurteilung durch das ORI für die Karriere des betroffenen Forschers hat.
->   U.S. Office of Research Integrity
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43 verurteilte Forscher
Zwischen Jänner 1994 und Dezember 2001 wurden 106 Personen des Fehlverhaltens für schuldig befunden, davon verfügten 43 über ein Doktorat und waren bei einer Forschungseinrichtung beschäftigt. Die verurteilten Studenten wurden für die Studie von Redman und Merz nicht in Betracht gezogen, weil sie noch keine Karriere im klassischen Sinn aufzuweisen hatten.
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Formale Konsequenzen nach Verurteilung
Von den 43 Verurteilungen erfolgten die meisten aufgrund von Fälschungen, dann kamen Plagiarismus und Fehlinterpretation.

Die formalen Konsequenzen folgten sofort nach dem ORI-Urteil: 30 wurden für durchschnittlich drei Jahre von weiteren Förderungen durch das Public Health Service (PHS) ausgeschlossen, 20 unter "Aufsicht" gestellt und 14 mussten ihre Studien zurückziehen oder korrigieren.
Weniger Publikationen
Eine Auswertung der Publikationsdatenband PubMed zeigte, dass die Forscher nach ihrer Verurteilung deutlich weniger Studien veröffentlichten als vorher, zwölf publizierten bis 2003 (soweit reicht die Analyse) gar nichts mehr.
Schwierige Suche nach Interviewpartnern
Nach der rein formalen Auswertung machten sich Barbara Redman und Jon Merz auf die Suche nach den verurteilten Personen. Von den 43 konnten sie 28 finden und mit 22 Kontakt aufnehmen.

Drei antworteten auf ihre Anfragen nicht, zwölf wollten dezidiert nicht über den Vorfall sprechen, und so blieben sieben Personen, die den beiden Forschern Auskunft über die Konsequenzen ihrer Verurteilung geben wollten.
Karriere fortgesetzt
Alle berichteten von persönlichen Krisen nach dem ORI-Urteil, manche erkrankten sogar. Aber abgesehen von der individuellen Ebene ist es allen gelungen, ihre wissenschaftlichen Karrieren wieder aufzunehmen.

Sechs von sieben publizierten auch in den Jahren nach dem Urteil, sie waren sogar produktiver als der "Durchschnittsforscher". Die eine Person, die nicht publizierte, wechselte zu einem finanziell lukrativen Job in der Industrie, der Rest blieb der akademischen Forschung erhalten.
Wie sollen Strafen aussehen?
Auch wenn diese Ergebnisse aufgrund der kleinen Zahl nicht repräsentativ sind, deuten sie doch darauf hin, dass Fehlverhalten noch immer als "Kavaliersdelikt" durchgeht, schreiben Redman und Merz in ihrem "Science"-Beitrag. Vor allem müsse man beachten, dass die ORI-Verurteilungen nur die Spitze des Eisbergs seien. Die Dunkelziffer lasse sich kaum abschätzen.

Wie Strafen aussehen könnten, die mit dem Vergehen adäquat umgehen, müsse aber noch weiter diskutiert werden, so ihre Schlussfolgerung.

[science.ORF.at, 8.8.08]
->   Barbara Redman
->   Jon Merz
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01.01.2010