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Digitale Neuzeit: Die Grenzen im Globalen Dorf  
  Digitale Medien haben das wissenschaftliche Arbeiten und Publizieren in vielerlei Hinsicht verändert. Der Kommunikationswissenschaftler Thomas Müller ist in seiner Diplomarbeit der Frage nachgegangen, inwiefern die Digitalisierung etablierte Grenzen sprengt. In einem Gastbeitrag findet er kritische Antworten: Auch im Internet wird anerkanntes von unerwünschtem bzw. unbekanntem Wissen abgegrenzt.  
E-Science: Eine digitale Neuzeit?
Von Thomas Müller

Das Internet erleichtert die Kommunikation zwischen ForscherInnen und verringert die Kosten, kann vereinfachend gesagt werden. Dazu wurde es schließlich auch aufgebaut. (und nicht, um einen Atomkrieg zu überleben, wie der oft wiederholte Mythos besagt).

Dass es nicht so einfach ist, lässt ein Blick in die Geschichte der Kommunikationstechnologien vermuten. Die früheste "Medienrevolution", die auch nach modernen Maßstäben historisch dokumentiert ist, ist die Einführung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in Europa und Asien.
Druckerpresse als "Schönschreibmaschine"
Von Johannes Gensfleisch vom Gutenberg, dem europäischen Weiterentwickler des Buchdrucks, sind dazu keine Aufzeichnungen erhalten. Aber Aussagen von Zeitgenossen und die Entstehungsgeschichte der berühmten "Gutenberg-Bibel" lassen den Schluss zu, dass die Druckerpresse als "Schönschreibmaschine" gedacht war.

Gutenbergs Bücher hatten keine hohe Auflage und waren alles andere als kostengünstig. Erst seine Nachfolger nutzten die neue Technologie kommerziell erfolgreich, mit weniger Investition in die äußere Form (das heutige "Layout"), dafür mit besserem Marketing.
Forschung als Wiege des Web
Nun trifft die digitale Technologie auf eine Wissenschaft, die ganz auf die Publikation neuer Erkenntnisse und auf Reputationsgewinn ausgerichtet ist. Und sie hat in dieser Wissenschaft auch ihren Ursprung: Das "Internet" von 1969 waren zunächst einige wenige vernetzte Universitäten in den USA, wenn auch finanziert aus dem US-Verteidigungsbudget.

Es war der Versuch, die Kommunikation zwischen Computern zu standardisieren. Die Entwicklung des World Wide Web am europäischen Kernforschungszentrum CERN stand ebenfalls noch im Zeichen des besseren Informationsaustauschs zwischen WissenschaftlerInnen.
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Dieser Text von Thomas Müller wurde science.ORF.at vom Verein textfeld zur Verfügung gestellt. Der 2001 von Studierenden gegründete Verein versucht, studentischen Texten mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Thomas Müllers Diplomarbeit "Digitalisierung von Schrift und wissenschaftliche Kommunikation" ist auf der Website von textfeld in voller Länge nachzulesen.
->   Zur Arbeit
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Medien verändern Bewusstsein
Eine medienwissenschaftliche Sicht auf die Geschichte nimmt aber an, dass neben diesen oberflächlichen Auswirkungen mit jeder Veränderung des Kommunikationsmediums auch ein Bewusstseinswandel einhergeht.

Der viel zitierte kanadische Medientheoretiker Herbert Marshall McLuhan ging in den 1960er Jahren so weit zu sagen, dass dieser Wandel wirkungsmächtiger sei, als der kommunizierte Inhalt je sein kann. Der Inhalt sei so bedeutend wie die Aufschrift auf einer Bombenhülle, behauptete McLuhan 1964 in seinem Buch "Understanding Media".

Im deutschsprachigen Raum zog der Historiker Michael Giesecke in den 1990er Jahren eine Parallele zwischen dem kulturellen Wandel in der frühen Neuzeit und den Veränderungen heute. Sein überraschendes Fazit: Nicht das elektronische Zeitalter McLuhans wird sich fortsetzen - die kommende Epoche sei jene des Gesprächs.
Digitalisierung und Wissenschaft
Die Gegenwart im Bereich Wissenschaft gehört einstweilen noch der "E-Science". Die unzähligen elektronischen Archive und Journals, die es bereits gibt, führen noch die Arbeitsweisen und Traditionen ihrer drucktechnischen Vorfahren fort.

Doch Anwendungen wie Google Scholar oder Google Book Search deuten an, dass allein die elektronische Form ein nicht zu unterschätzender Faktor ist. Die Grenzen der (durchsuchbaren) Welt erweitern sich für Gegenwärtiges aber auch - fast gravierender - für Vergangenes. Das erreichbare Wissen wird schlagartig vermehrt, gleichzeitig aber relativiert, nachdem sich der bisherige Bestand als unvollständig oder einseitig herausgestellt hat.
Verborgenes "Deep Web"
Wer garantiert, dass der neue Horizont noch lange Gültigkeit hat? Niemand weiß zum Beispiel, wie viel indizierbares Wissen es im Word Wide Web wirklich gibt, geschweige denn, wie groß das verborgene "Deep Web" ist.

Und praktisch gänzlich ausgeblendet ist auch der Bestand an oral tradiertem Wissen, das bis in die Gegenwart weitergegeben wurde. Die Nachbarn im Globalen Dorf definieren eben jeder für sich, welche Form relevantes Wissen haben muss. Selbst wenn es also so etwas wie eine digitale Neuzeit gibt, findet sie nur sehr begrenzt statt, wie auch im 15. Jahrhundert.

[11.8.08]
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Der Autor
Thomas Müller (geb. 1979) hat bis 2007 Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert und ist seit 2001 Mitarbeiter beim Verein textfeld.
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Weitere Beiträge zu "textfeld"-Veröffentlichungen:
->   Tobias Portschy - ein "Prediger der NSDAP"
->   Dschinggis Khan: Vom Despot zum Werbesujet
 
 
 
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01.01.2010