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Sprachdiplome: Vergleichbare Maßstäbe notwendig  
  Sprachdiplome und Zertifikate sind international gefragt wie nie. Das Problem: Fremdsprachen-Nachweise variieren nicht nur von Land zu Land, sondern sagen meist auch wenig über die tatsächlichen Sprachkenntnisse aus. Die Lösung: Ein sprachen- und länderübergreifend einheitliches Bezugs- und Vergleichssystem. Die Sprachwissenschaftlerin und Germanistin Manuela Glaboniat erklärt den Sinn vergleichbarer Maßstäbe beim Sprachenlernen und -lehren und skizziert "Profile deutsch", die weltweit anerkannte Basis für Deutsch-Prüfungen.  
Ein "Euro" für Sprachzertifikate?
Von Manuela Glaboniat

Wer kennt sie nicht, die typischen Formulierungen aus Bewerbungsunterlagen: "Sehr gute Deutschkenntnisse, Englisch mit gutem Erfolg abgeschlossen, ausreichende Französischkenntnisse, Russisch sicher in Wort und Schrift" - o. ä. In Zeiten zunehmender internationaler Mobilität werden Fremdsprachen generell immer wichtiger.

Menschen wechseln häufig ihre Ausbildungs- und Berufsstandorte, wofür sie nicht nur die entsprechenden Sprachkompetenzen, sondern immer öfter auch aussagekräftige Nachweise darüber benötigen.
Großer Spielraum für Interpretation
Der Interpretationsspielraum der oben angeführten Prädikate ist sehr hoch und Entscheidungsträger im Bildungsbereich (z. B. Verantwortliche von Austauschprogrammen) sind bei Bewerbungen oft ausschließlich auf solche Selbsteinschätzungen, Kursbestätigungen oder Schulzeugnisse angewiesen.

Ein praktisches Beispiel aus dem Arbeitsalltag der Autorin an der Universität Klagenfurt soll dies illustrieren. Als Zuständige für die Anrechnung von Nachweisen für Deutschkenntnisse stapeln sich auf ihrem Schreibtisch: ein polnisches Maturazeugnis mit dem Eintrag "Deutsch Note 3", ein marokkanisches Abiturzeugnis mit dem Eintrag "Deutsch 12" oder die Kursbestätigung einer Volkshochschule mit dem Prädikat "hat am Kurs Deutsch 6 teilgenommen".
Vergleichbare Maßstäbe erforderlich
Nun muss entschieden werden, ob die einzelnen Personen über ausreichende Deutschkenntnisse für ein Studium verfügen. Keines der Zeugnisse gibt jedoch detaillierte Hinweise auf Prüfungsinhalte oder -anforderungen. Und die Noten allein, das ist hinlänglich bekannt, stellen weder im nationalen und noch viel weniger im internationalen Kontext ein aussagekräftiges und vergleichbares Informationsinstrumentarium dar.

Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, auch im Bereich des Fremdsprachenlehrens sprachen- und länderübergreifende Orientierungsrichtlinien zu schaffen und so ein Bezugs- und Vergleichssystem zu entwickeln, das auf einfache, transparente und verständliche Weise eine möglichst präzise Interpretation beziehungsweise "Umrechnung" der verschiedenen Beurteilungen zulassen soll. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der "Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER)"
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative:
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Einheitlicher Orientierungsrahmen
Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen ist ein wichtiges Werkzeug für transparente und kohärente Sprachenpolitik. Als allgemeiner, sprachenübergreifender Orientierungsrahmen will er dazu beitragen, Barrieren zwischen unterschiedlichen Bildungssystemen zu überwinden und die Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen zu fördern.

Der Referenzrahmen enthält Ideen und Anregungen für handlungsorientiertes Sprachenlernen, -lehren und -beurteilungen. Im Mittelpunkt stehen dabei die sechs definierten Sprachniveaus: von Anfänger/innen (A1, A2) über Fortgeschrittene (B1, B2) bis hin zu sehr hohen, beinahe muttersprachigen (C1, C2) Kompetenzen der Lernenden.
Umfassende Datenbank
Ein weiteres wichtiges Europaratsprojekt ist in diesem Zusammenhang und konkret für die deutsche Sprache "Profile deutsch (PD)", das in deutsch-österreichisch-schweizerischer Kooperation entstand. Ausgehend von den sprachübergreifenden Vorgaben des GER findet sich auf der CD-Rom von Profile deutsch eine umfassende Datenbank mit sprachlichen Mitteln.

Listen von konkreten Sprachhandlungen, Wortschatz- und Grammatikinventaren beschreiben detailliert die Fertigkeiten der Lernenden auf den jeweiligen Niveaustufen. Sowohl der GER als auch Profile deutsch sind im Ansatz deskriptiv und bewusst nicht normativ. Sie haben Empfehlungscharakter und wollen anregen, aber keine Vorgaben machen.
Beurteilung des Könnens
Ausgangspunkt von GER und PD ist ein Ansatz, der die einzelnen Stufen im Spracherwerbsprozess positiv beschreibt: Wer ein paar Sätze in einer fremden Sprache gelernt hat, "kann schon etwas". Gemessen und beurteilt wird also, was jemand kann und nicht, was jemand nicht kann.

Damit wird die bislang praktizierte Zertifizierung von Fremdsprachenkenntnissen "vom Kopf auf die Füße gestellt" und "die Orientierung am Defizitären durch eine Orientierung am tatsächlichen sprachlichen Können ersetzt". (Christ 2003, S. 62).
Zuordnung bestehender Prüfungen
Durch diese Europarats-Projekte wurde Folgendes möglich: Mit dem gemeinsamen Bezugssystem für sprachliche Kompetenzstufen bzw. Kompetenzbereiche ist ein Rahmen geschaffen, der einerseits kriterienorientiertes Testen in Bezug auf eine bestimmte Prüfung zulässt. Andererseits - und das ist sein innovativer Aspekt - ist dieser Rahmen international und daher allgemein verständlich.

Mit Hilfe der Kompetenzbeschreibungen und Niveaubezeichnungen können Noten "umgerechnet" und "versprachlicht", sowie relevante Schlussfolgerungen zwischen Zertifikaten und objektiven Selektionsverfahren hergestellt werden.
Zertifikat Deutsch
Ein Beispiel: Durch den Zusatz der Stufenbezeichnung B1 weiß jeder, dass die größte Deutschprüfung weltweit, das Zertifikat Deutsch ausreicht, um beispielsweise in Deutschland die Staatsbürgerschaft zu erlangen, nicht aber, um an einer deutschsprachigen Universität zu studieren.

Hierfür braucht man mindestens das Niveau B2 oder - an den meisten Universitäten - Niveau C1. Für Deutsch als Wissenschaftssprache, d.h. um Diplomarbeiten verfassen oder Fachartikel in Deutsch publizieren zu können, braucht man aber Niveau C2
Aussagekräftig und vergleichbar
Fazit: Die vom Europarat herausgegebenen gemeinsamen Niveaustufenbeschreibungen bieten Vorteile für alle am Sprachlernprozess Beteiligten: Sie machen Noten und Zertifikate aussagekräftig und international vergleichbar und erleichtern so Lehrenden und Entscheidungsträgern Einstufungs-, Zulassungs- oder andere Selektionsverfahren.

Sie ermöglichen einfache und klare Anforderungsprofile für Lernende und helfen somit, den Lehr- und Lernprozesse effizient und zielgerichtet zu steuern. Und so tragen sie letztlich auch dazu bei, das Lernen von Fremdsprachen, auch der deutschen, weltweit zu fördern.

[18.8.08]
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Über die Autorin:
Manuela Glaboniat ist Sprachwissenschaftlerin und Germanistin. Die Fremdesprachen-Expertin arbeitet im Fachbereich "Deutsch als Fremdsprache" am Institut für Germanistik an der Universität Klagenfurt ebenso wie am Institut für Germanistik der Uni Wien. Sie ist wissenschaftliche Leiterin des Prüfungssystems "Österreichisches Sprachdiplom Deutsch" und Vorstand des Vereins "Deutsch in Österreich".
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01.01.2010