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Verdächtig? Kaum Doping in Peking  
  Michael Phelps, Usain Bolt und andere haben bei den Olympischen Spielen bisher für eine Flut an Weltrekorden gesorgt. Zugleich gibt es vergleichweise wenige Dopingfälle. Kann es wirklich sein, dass die Athleten also sowohl ehrlicher geworden sind als auch besser?  
Nicht unbedingt. Eine Vielzahl von Sportlern und Sportlerinnen ist aufgrund positiver Dopingtests erst gar nicht nach Peking gefahren. Etwa die 15 griechischen Gewichtheber, Leichtathleten und Schwimmer, die allesamt das gleiche Anabolikum genommen haben.

Im Vorfeld der Olympischen Spiele wurden die Kontrollen intensiviert. "Normalerweise analysieren wir pro Monat 300 bis 400 nationale und internationale Proben aus aller Welt", erzählt Günter Gmeiner. "Vor Peking waren es tausend", so der Leiter des von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA akkreditierten Kontroll-Labors in Seibersdorf.
Weniger positive Fälle bei Großveranstaltungen
Die Rekordmenge von 4.500 Dopingproben wird in Peking selbst untersucht, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees Jaques Rogge hat vor der Eröffnung der Spiele mit rund 40 positiven Fällen gerechnet - bis jetzt wurden allerdings erst vier Sportler überführt, die noch dazu v.a. aus Randsportarten stammten.

"Es gibt einen Trend zu weniger positiven Fällen bei Sportgroßveranstaltungen, ganz einfach weil währenddessen und zuvor enorm viel kontrolliert wird. Und das wissen die Athleten", meint Günter Gmeiner gegenüber science.ORF.at.
Frontale Kritik an Antidopingbehörden
Bleibt die Frage: "Wenn Katze und Maus ruhig sind - versteckt sich dann gerade die Maus oder schläft die Katze?" Gestellt hat sie vor kurzem in einem Artikel der "New York Times" Donald Berry, ein Biostatistiker der University of Texas in Houston. Er meint, dass die Katzen - also die Dopingjäger - unter den derzeitigen Bedingungen nicht über die Mäuse - die Sportler - richten dürfen.

In einem Kommentar, der vor zwei Wochen in "Nature" erschienen ist (Bd. 454, S. 692), hat er die Antidopingbehörden frontal angegriffen: Ihre Kriterien für einen positiven Dopingtest würden wissenschaftlich nicht korrekt und nachvollziehbar angegeben, wie in anderen Fächern der Biomedizin sollten die Methoden validiert werden, lauteten seine Vorwürfe.
Falsch positive Tests - eine Frage der Statistik
Das Problem, das Berry anhand des bei der Tour de France 2006 des Dopings überführten Radfahrers Floyd Landis ausführt: Es gibt auch falsch positive Testergebnisse. Im konkreten Fall ging es um künstlich zugeführtes Testosteron, das durch das Verhältnis zu Epitestosteron sowie mit Isotopenanalyse nachgewiesen werden kann.

Der Test kann laut Berry auch zu Fehlern führen - genau das hat Landis, der bei der Tour acht Mal Dopingproben abgegeben hat und nur einmal positiv getestet wurde, stets für sich beansprucht. Und Donald Berry springt ihm in "Nature" mit biostatistischen Mitteln bei.

Die Grenze zwischen falsch positiven und echt positiven Dopingproben ist nämlich eine der Wahrscheinlichkeit. Sie liegt laut dem internationalen Sportgerichtshof CAS bei 1:10.000. D.h. dass in einem von 10.000 Fällen das Metabolitenprofil - die Menge von Stoffwechselprodukten, die auf Doping schließen lässt - irrtümlich zu einem positiven Ergebnis führen kann.
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"Nature" auf Seiten der Skeptiker
In einem Editorial, das den Kommentar von Berry begleitete, schrieb die Wissenschaftszeitschrift: "Nature glaubt, dass es gegen die fundamentalen Standards der modernen Wissenschaft geht, wenn man 'Gesetzesgrenzen' für diese Metaboliten akzeptiert, ohne dass zugleich größere Blindstudien durchgeführt werden mit gedopten und ungedopten Sportlern, auf denen die Grenzen basieren."
->   Nature-Editorial
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"Alle Methoden validiert"
Für Günter Gmeiner haben die Vorwürfe von Donald Berry wenig mit der Realität der Dopinganalytik zu tun. Die Methoden seien sehr wohl transparent, was sich auch in dem Umstand ausdrückt, dass Athleten bei Öffnung der B-Proben das Recht haben, mit einem Experten anwesend zu sein.

"Jede unserer Methoden ist nach wissenschaftlichen Standards validiert", meint Gmeiner gegenüber science.ORF.at. Einrichtung der WADA-Labore, Methoden und Kompetenz des Personals werden spätestens alle eineinhalb Jahre überprüft, dazu kämen laufend verdeckte Testproben der WADA.
Ein Thema mit Konjunktur
"Womit Donald Berry sicher recht hat: Die Dopinganalytik hantiert mit sehr komplexen Methoden, wie der Massenspektrometrie. Im Vergleich zur Forensik ist sie dank der WADA aber weltweit stark reglementiert. Experten aus vielen Disziplinen sorgen für die Qualitätssicherung", ist Gmeiner überzeugt.

Warum sich "Nature" ausgerechnet vor den Olympischen Spielen auf die Seite der Skeptiker der Dopinganalytik geschlagen hat? Dies hat laut Gmeiner am ehesten etwas mit der Konjunktur des Themas zu tun, die es auch bei Fachzeitschriften gibt. "Das Thema ist halt attraktiv im Umfeld von Olympischen Spielen."
Dopingproben bleiben eingefroren
Aufgrund neuer IOC-Regeln könnte vielleicht auch Donald Berry zufrieden gestellt werden - zumindest in Zukunft.

Alle Dopingproben bleiben acht Jahre lang eingefroren, und in dieser Zeit werden vielleicht noch bessere und genauere Analysemethoden entwickelt. Auch im Falle einer nachträglichen "Überführung" sollen die Sportler ihre Medaillen verlieren.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 19.8.08
->   International Standard for Laboratories (WADA)
->   Donald Berry, University of Texas
->   Antidopinglabor Seibersdorf
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   5.000 Jahre Sportgeschichte im "Land ohne Sport"
->   Ökonomische Strategie gegen Doping
->   Dopingsünder durch Pharmafirma überführt
 
 
 
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01.01.2010