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Wahlprognose: So wählen Unentschlossene  
  In den USA und hierzulande stehen wichtige Wahlen vor der Tür. Da wie dort sind viele noch unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben werden. Das ist nicht nur ein Problem für den einzelnen, oft ratlosen Staatsbürger, sondern auch für die Meinungsforscher. Unter Umständen gebe es dafür eine Lösung. Wissenschaftler haben nämlich herausgefunden, dass sich die Entscheidung mit Hilfe psychologischer Tests vorhersagen lässt, wenn sich der Wähler dieser noch gar nicht bewusst ist.  
Die Studie deutet darauf hin, dass die Wahl letztlich nicht das Ergebnis eines bewussten Abwägens der Möglichkeiten ist, sondern von unbewussten Haltungen quasi vorbestimmt wird.
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Der Artikel "Automatic Mental Associations Predict Future Choices of Undecided Decision-Makers" von Silvia Galdi et al. ist in der aktuellen Ausgabe von "Science" (Bd. 321, 22.August 2008, DOI: 10.1126/science.1160769) erschienen.
->   Studie
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Bewusstes Abwägen oder unbewusste Entscheidung?
Vor dem unentschlossenen Wähler liegen anstrengende Wochen, er muss all die Informationen, die über die Medien auf ihn einströmen, verarbeiten, vergleichen und bewerten. Auf dieser Grundlage beruht seine Entscheidung, so die gängige Annahme.

Diese wird von der aktuellen Studie der Forscher rund um Silvia Galdi und Luciano Arcuri von der Universität Padua und Bertram Gawronski von der University of Western Ontario in Kanada allerdings in Frage gestellt.

Auf Basis früherer Studien über unbewusste Einflüsse bei der Informationsverarbeitung testeten die Autoren, wie mentale Assoziationen zukünftige Entscheidungen von Unentschlossenen mitbestimmen.
Tests erheben Haltungen und Meinungen
Für ihre Untersuchung befragten sie 129 Bewohner der italienischen Stadt Vicenza über ihren Standpunkt bezüglich der Erweiterung einer U.S. Militärbasis. Das Projekt wurde zur Zeit der Befragung gerade sehr kontrovers in den Medien diskutiert.

Die Erhebung bestand aus mehreren Teilen: Zuerst mussten die Teilnehmer beantworten, ob sie für den Ausbau, dagegen oder unentschlossen waren. Danach wurden zehn Fragen über bewusste Haltungen zu politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Konsequenzen des Bauprojekts gestellt.

Der dritte Teil bestand in einem computer-basierten Assoziationstest, bei welchem die Studienteilnehmer Bilder der Militärbasis sowie positive und negative Begriffe möglichst schnell verknüpfen mussten. Nach einer Woche wurde der gesamte Test wiederholt.
Assoziationen prägen die Meinung
Mit Hilfe statistischer Methoden untersuchten die Forscher die verschiedenen Zusammenhänge zwischen Assoziationen, bewussten Meinungen und zukünftigen Entscheidungen.

Dabei zeigte sich, dass die mentalen Assoziationen Änderungen in der bewussten Haltung relativ eindeutig vorhersagten, sprich bei den Unentschlossenen wurden sie sich inhaltlich zunehmend ähnlich. Die Befragten hatten offenbar schon klare Präferenzen, deren sie sich aber noch nicht bewusst waren.

Bei den Entschlossenen hingegen hatte die bewusste Haltung gewissermaßen Einfluss auf die Assoziationen, diese wurden in sich konsistenter und ähnelten zunehmend der bewussten Meinung.
Unbewusstes und bewusstes Denken beeinflussen sich
Das heißt, dass zukünftige Haltungen und folglich Entscheidungen maßgeblich von unbewussten Assoziationen bestimmt werden, von denen der einzelne gar nichts weiß. Unbewusstes und bewusstes Denken beeinflussen sich offensichtlich wechselseitig.

Laut den Autoren könnten Meinungsforscher mit ähnlichen Erhebungsmethoden die voraussichtliche Entscheidung von unentschiedenen Wählern relativ zuverlässig feststellen. So erhielten sie vorab Informationen, die der einzelne noch gar nicht mitteilen kann.
Menschen liefern "falsche" Erklärungen
Lustigerweise scheinen sich Menschen auch im Nachhinein der Unbewusstheit ihrer Entscheidung nicht bewusst zu sein, wie Timothy D. Wilson und Yoav Bar-Anan in einem dazu gehörigen Kommentar in derselben Ausgabe des Magazins ("The Unseen Mind", DOI: 10.1126/science.1163029) feststellen.

Befragt man sie nämlich nach einer Entscheidung, liefern sie immer ganz konkrete Erklärungen, warum sie diese getroffen hätten, auch wenn diese - wie man aus anderen Studien weiß - oft reine Konstruktionen sind. Laut den Autoren heißt das, dass Befragungen nach dem Urnengang, die das Wahlverhalten erklären sollen, mit größter Vorsicht zu genießen sind.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 22.8.08
->   Silvia Galdi
->   Luciano Arcuri
->   Bertram Gawronski
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Forscher: Entscheidungen manchmal vorhersagbar (14.4.08)
->   Visuelle Entscheidungen von den Augen ablesen(5.1.08)
->   Wie das Gehirn Entscheidungsprobleme lost (17.8.06)
 
 
 
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01.01.2010