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Peter Markowich: Ein Österreicher in Arabien  
  Der Mathematiker Peter Markowich ist einer der am besten international vernetzten Wissenschaftler Österreichs. Seit dem Vorjahr ist er nicht nur an der Uni Wien, sondern auch in Cambridge Professor für Angewandte Mathematik. Im Mai wurde er von der im Aufbau befindlichen King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien als "Investigator" ausgezeichnet.  
Die knapp sechseinhalb Millionen Euro, die er dafür erhalten hat, passen zu den Dimensionen des Projekts, das sich in einigen Jahren mit amerikanischen Elite-Unis messen möchte. Rund 80 Kilometer nördlich von Jeddah soll auf einem 36 Quadratkilometer großen Campus Platz für rund 20.000 Personen sein.

Bei den Technologiegesprächen des Forums Alpbach zeigte sich Markowich sowohl von den baulichen als auch von den wissenschaftlichen Fortschritten der KAUST begeistert.

In einem science.ORF.at-Interview stellte er außerdem in Aussicht, dass man seinen Forschungsschwerpunkt - partielle Differenzialgleichungen - auf die Frage anwenden könnte, welche Standorte Wissenschaftler für ihre Arbeit bevorzugen.
science.ORF.at: Wo sind Sie zurzeit am häufigsten anzutreffen?

Peter Markowich: In Cambridge, wo ich rund zwei Drittel meiner Zeit verbringe. Ich habe aber noch ein sehr solides Standbein in Österreich, dazu kommen viele internationale Verpflichtungen.
Was ist der erste große Unterschied, der ihnen einfällt, wenn Sie Cambridge mit Österreich vergleichen?

Ganz persönlich: Cambridge ist für mich eine Art Forschungsurlaub. Man arbeitet völlig losgelöst von allen Problemzonen, die die Universität so mit sich bringt. Das ist sehr schön, wobei auch mein Leben an der Uni Wien sehr gut und privilegiert war. Wichtig ist der Zugang zu den besten Studenten der Welt. Auch in Wien hatte ich sehr gute Studenten, nur die musste man sie speziell suchen. In Cambridge kommen sie auf einen zu, und man kann sich in der Spitzenqualität noch immer aussuchen, wen man nimmt.
Sie profitieren auch selbst davon?

Ja, natürlich, das ist für mich das Um und Auf. Durch die Betreuung von Studenten und die Vorbereitung auf Vorlesungen lernt man unendlich viel, ich könnte mir Wissenschaft ohne Umgang mit jungen Denkern nicht vorstellen.
Bild: privat
Choon Fong Shih, Peter Markowich
mit Auszeichung und der Erdölminister
Sie waren im Mai bei der "Investigator"-Preisverleihung in Jeddah, wie war das?

Anders als erwartet. Ich war zuvor oft im Iran, auch eine islamische Gesellschaft, von der ich genauso angenehm überrascht war wie jetzt in Saudi-Arabien. Das ist zwar ein oberflächlicher Eindruck, weil ich nur drei Tage dort war: Aber die Menschen gehen sehr respektvoll miteinander um. Es ist natürlich ein Land, das ganz andere Regeln hat als wir. Aber es ist eine politisch wichtige Region und ein wissenschaftliches Hoffnungsgebiet.

Wie sind die wissenschaftlichen Fortschritte des Projekts?

Das KAUST-Führungsteam stammt aus der absoluten internationalen Elite, wie z.B. Choon Fong Shih, der derzeitige Präsident der University of Singapur und zukünftige Präsident. Die ersten Wissenschaftler wurden vergangene Woche berufen, darunter ein Mathematik-Kollege, der einen Chair an der Columbia University in New York hat. Allesamt Topleute
Waren Sie schon auf der Baustelle, wie sieht es dort aus?

Sehr viele Kräne und 18.000 Arbeiter. Ein Kollege hat die Frage gestellt, was passiert, wenn man draufkommt, dass das nicht im Oktober 2009 fertig wird. Die Antwort war: Na, dann fliegen wir noch 30.000 Arbeiter vorher ein. Es wird also rechtzeitig fertig werden. Es gibt auch schon einen Termin für die Eröffnungsfeier.
Wurden Sie direkt vom König ausgezeichnet?

Nein, sondern vom Erdölminister. Der König kommt zur Eröffnung.
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Ein Beitrag mit Peter Markowich ist am Freitag, dem 22. August 2008, im "Dimensionen-Magazin" (Radio Österreich 1, 19.05 Uhr) zu hören.
->   oe1.ORF.at
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Bild: privat
Markowich mit seinen Mitarbeitern
Klemens Fellner (li) und Christof Sperber (re)
Kann man mit den kolportierten neun Milliarden Euro tatsächlich Spitzenforschung aus dem Wüstenboden stampfen?

Der Plan von KAUST ist, in fünf bis zehn Jahren auf dem höchsten internationalen Niveau zu sein. Ich denke, dass das zumindest punktuell gelingen wird. Die Laborausstattungen etwa werden vom Allerfeinsten sein. Ein Kollege aus Toronto, der in einem topausgestatteten Labor Nanotechnologie betreibt, hat zu mir gesagt: Was dort kommt, schlägt meine Ausrüstung oder jene von Kollegen in Stanford und Berkeley um Dimensionen.

Gridcomputing-Experten von IBM meinten, dass der geplante Computer Deep Blue um Längen schlagen wird. Dazu kommt, dass das Führungsteam absolut professionell agiert. Vergangene Woche haben sie Cambridge besucht um zu schauen, wie man einen Campus organisieren kann. Die Leute sind wahnsinnig offen und wollen von überall das Beste mitnehmen.
Worin sehen Sie Defizite des Projekts?

Ok, es gibt Temperaturen von 40 Grad und Beschränkungen durch Kultur und Religion. Aber der Campus wird absolut international werden, wie ein extraterritoriales Gebiet. Frauen werden unverschleiert sein und Auto fahren dürfen, was ja im Rest des Landes nicht so ist. Alkohol hingegen wird es keinen geben, wenn Sie wollen, ist das die Haupteinschränkung, mit der wir leben müssen.
Bild: Lukas Wieselberg
Markowich in Alpbach
Bei Diskussionen in Österreich - z.B. in Wien oder Maria Gugging - wird immer wieder betont, dass auch weiche Faktoren wichtig sind für die Attraktivität von Standorten, wie Lebensqualität, Kultur etc.

Das funktioniert gut beim Wientourismus. Man macht auch lieber eine Konferenz im Mai in Wien, als im Winter in Nordlappland. Ich hoffe aber sehr, dass sich die Freunde in Gugging auch noch eine andere Basis schaffen werden als diese. Wissenschaftler gehen im Allgemeinen dorthin, wo Tradition ist.

Zum Beispiel Cambridge mit seinen 800 Jahren: Die Postdocs kommen, obwohl sie dort weniger bezahlt bekommen als woanders, sogar weniger als in Österreich. Sie wissen einfach, dass sie so etwas für ihre Karriere tun. Geld und Umfeld sind natürlich auch wichtig. Wenn Sie ein Experimentalphysiker sind, werden sie dorthin gehen, wo das beste Labor ist. Ob das in der saudi-arabischen Wüste oder in Gugging ist, ist prinzipiell egal.
Ist es überhaupt sinnvoll, die Elite-Unis von Österreich und Saudi-Arabien zu vergleichen?

Zum Glück für Gugging ist das Management davon schon abgerückt, sie Elite-Institution zu nennen. Ob das Elite wird oder nicht, hängt davon ab, was dort wissenschaftlich geschieht. Und das wird Jahrzehnte dauern. KAUST hat es sicher leichter, weil sie sehr viel Geld haben. Gugging hat auch viel Geld, aber den Nutzen der Zusatzfaktoren Staatsoper und Heurigen bezweifle ich.
Zur Ihrem Forschungsschwerpunkt: Mit ihren partiellen Differenzialgleichungen beschreiben Sie nebst anderem auch das Verhalten von Menschen.

Ja, wobei es bei Sociophysics immer um große Gruppen geht, etwa eine Gesellschaftsschicht oder ein Land. Wie funktioniert z.B. die Meinungsbildung in Gesellschaften? Zwei Menschen sprechen miteinander und gehen dann mit leicht geänderten Meinungen auseinander.

Meinungsbildung basiert also auf binärer Interaktion von Menschen, ähnlich wie die Bewegung von Gasen darauf basiert, wie Gasatome interagieren. Wobei Gasatome nach ganz strengen physikalischen Regeln agieren, wie Erhaltung von Masse, Impuls und Energie. Beim Menschen ist das diffuser, aber der Mechanismus ist der gleiche.
Könnte man mit dem Modell die Bewegung der großen Menge von Wissenschaftlern simulieren, also an welche Standorte sie wandern? Eher nach Saudi-Arabien oder nach Gugging?

Interessante Frage, direkt ist das wohl nicht zu simulieren. Man könnte aber ein Modell dafür aufbauen.
Mit welchen Parametern?

Tradition, Geld, umgebende Kultur.
Was ist, wenn bei der Simulation dann rauskommt, dass so ein "Gasmolekül-Wissenschaftler" niemals nach Gugging kommt?

Mit solchen Resultaten ist wohl nicht zu rechnen, das spielt sich im statistischen Bereich ab. Aber Trends könnte man schon bekommen. So wie Kollegen an der UCLA, die die Diffusion von Verbrechen simuliert haben. Es gibt Zonen in Los Angeles, wo die Gangs ihre Hochburgen haben. Wie deren Kriminalität ausstrahlt in andere Zonen, kann mit Mitteln der partiellen Differenzialgleichung simuliert werden. Diese Einsichten, die man mit unseren Methoden in soziologische Prozesse bekommt, sind neu, aber sehr vielversprechend.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 21.8.08
->   KAUST
->   Peter Markowich, Uni Wien
->   Applied Partial Differential Equations Research Group, Cambridge
->   Wolfgang Pauli Institut
->   Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics
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01.01.2010