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Gesucht: "Übersetzer" der Wissenschaftssprache  
  Die Wissenschaft braucht eine gemeinsame Wissenschaftssprache, meint Hans-Hennig von Grünberg. Nur mit ihr könne man effizient für die Universität selbst und um Studierende im Speziellen werben, so der Forschungsdekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Graz. Für ihn sind "Science goes Public"-Initiativen keine adäquate Maßnahme zur Studentenrekrutierung. Stattdessen brauche es gute "Übersetzer" der Wissenschaft.  
Wer übersetzt die Wissenschaft? Ein Aufruf an die Unis
Von Hans-Hennig von Grünberg

Natürlich ist Wissenschaftssprache nicht allgemeinverständlich. Kann und soll sie gar nicht sein. Wissenschaftssprache ist ihrem Wesen nach nicht die Sprache der "Präsentation" für das breite Publikum, sondern eine raffinierte Kommunikationstechnik für Eingeweihte.

Sie ist eine Technik der abkürzenden Darstellung, in der knappe Fachbegriffe größere Zusammenhänge repräsentieren müssen. Diese Begriffe wirken wie Symbole, sie haben Stellvertreterfunktion und dienen letztlich nur dem Zweck, beim Zuhörer bereits vorhandenes Wissen wiederzuerwecken.
Effiziente Diskussion
So ermöglicht der Gebrauch von Wissenschaftssprache eine effiziente wissenschaftliche Diskussion, in der man in kürzester Zeit einander auf dasselbe Wissenspodest heben kann, um von dort aus die Feinarbeit an einem weiterführenden Gedanken aufnehmen zu können.

Wie könnte man ohne eine solche Technik sonst wohl eine solche Feinarbeit leisten, wo wir doch heute auf den "Schultern von Giganten" stehen, also jeder neue Gedanke auf dem immensen Fundament des bereits Gedachten ruht?
Bauen am Wissenschaftsgebäude
Durch den Gebrauch einer eigenen Sprache wird ein arbeitsteiliges Bauen an dem großen Gebäude "Wissenschaft" überhaupt erst möglich: Heerscharen von Wissenschaftlern können sich an diesem Gebäude nur deswegen sinnvoll und einander ergänzend betätigen, weil ihre Sprache es ihnen erlaubt, einander schnell einzuweisen.

Allerdings: In dem Maße, wie das große Haus und die Zahl der Bauleute wächst, fraktionieren die Baumannschaften und mit Ihnen ihre Sprache.
Babylonische Sprachverwirrung
Es gibt sie eigentlich längst nicht mehr: die Wissenschaftssprache. Heute pflegt fast jede Disziplin ihren eigenen Jargon. Wie auf einer modernen Großbaustelle mit Gastarbeitern aus aller Herren Länder führt das zur Babylonischen Sprachverwirrung: Kaum einer versteht mehr den anderen.

Wir haben demnach ein doppeltes Problem: Die Wissenschaft wird nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb ihrer eigenen Grenzen nicht richtig verstanden.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Die Initiative (BMWF)
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Globalisierung durch Internet
Die fortschreitende Fraktionierung der Wissenschaftsgruppen und ihrer jeweiligen Sprachen berührt unter anderem auch den Alltag an der Universität: Wissenschaftler und Forscher einer Fakultät, mitunter sogar eines Instituts, zerfallen hinsichtlich ihres Interesses füreinander in voneinander getrennte Kollegenkreise, die sich oft nur dann (und dann eher pro forma) zusammenfinden, wenn sie sich als Antragsgemeinschaft mehr Erfolg beim Einwerben von Drittmitteln versprechen.

Diese Zergliederung der Kollegenschaft geht einher mit der Internationalisierung. Heute leben die "wahren" Kollegen in Paris, Philadelphia und Upsalla, man verkehrt mit Ihnen via e-mail oder Skype und spricht zu ihnen, als säßen sie neben einem. Der Kollege "next door" jedoch: Er und sein Forschungsinteresse bleiben einem weitestgehend fremd.
Gemeinsame Uni-Stimme fehlt
Mag diese Fraktionierung am Ende ein für Universitäten ganz natürlicher Ausdifferenzierungsprozess sein, der Verlust einer universellen Wissenschaftssprache bleibt nichtsdestoweniger eine beklagenswerte Begleiterscheinung. Ohne gemeinsame Sprache hat eine Universität, eine Fakultät, ein Institut auch keine gemeinsame Stimme.

Und das wird immer dann besonders deutlich, wenn es darum geht, für sich zu werben, denn unvermeidlicherweise tauchen Fragen auf: Wer an einer Universität soll werben, für wen genau soll er werben, was ist es eigentlich, was er da bewerben soll?
Werben um Studenten
Über Jahre hinweg konnte man darüber hinwegsehen, denn Universitäten hatten es gar nicht nötig, für sich zu werben. Aber die Zeiten ändern sich. Waren früher die Studierenden nicht zuletzt durch die Formalitäten ihrer Studiengänge an ihre Universität gebunden, so ermöglichen heute die international kompatiblen Bakkalaureats- und Magisterstudiengänge den unkomplizierten Wechsel der Studierenden zu anderen, möglicherweise ausländischen Universitäten.

Doch auch in anderer Hinsicht verschärft sich die Wettbewerbssituation für die Unis. Atemberaubend ist das Wachstum, das man gegenwärtig bei der Zahl der Studien- und Ausbildungsangebote in Bildungseinrichtungen jenseits der Universitäten beobachten kann.
Unzureichend: "Science goes public"
Richtig angst und bang kann einem werden, wenn man die Studienanfängerzahlen einiger altehrwürdiger Studiengänge betrachtet, und man fragt sich unwillkürlich: Wirbt die Universität eigentlich angemessen um die Jugend? Erreicht und rekrutiert sie die Hochmotivierten und zukünftigen Leistungsträger, gewinnt sie diese gerade auch für anspruchsvolle Studiengänge?

Wahrscheinlich ist es hier - an der Schnittstelle zwischen Universität und Schule -, wo sich die Auftrennung in verschiedene Sprachwelten besonders schmerzlich bemerkbar macht. Die gegenwärtige "science to public"-Philosophie der Universität (publiziert Eure Ergebnisse doch auch einmal in populärwissenschaftlichen Zeitschriften!) ist dabei ganz sicher nicht die adäquate Antwort auf das Problem unzureichender Werbung um zukünftige Studierende.
Wissenschaft und Öffentlichkeit
Dass sich zwischen der Sprache der Öffentlichkeit und der Wissenschaftssprache Verständniswelten auftun, weist im Grunde nur hin auf das Fehlen einer breit praktizierten Kultur des Übersetzens zwischen beiden Sprachen. Doch wird in Zeiten, wo Werbung für die Universitäten wichtig wird, auch diese Kultur ganz sicher entstehen.

Dabei kann sich das neue Miteinander von Wissenschaft und Öffentlichkeit schon einmal bewähren: Beim Übersetzen von wissenschaftlichen in allgemeinverständliche Texte hat die eine Seite auf die getreue Wiedergabe des Inhalts und die andere auf die Allgemeinverständlichkeit zu achten.
Begeisterung wecken
Der anfängliche Impuls zu werben muss aber von der Wissenschaft ausgehen, oder genauer gesagt: von jeder einzelnen Wissenschaftsdisziplin für sich. Denn in Ermangelung einer gemeinsamen Stimme und Sprache spricht besser jeder für sich.

Und so möchte man den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Ende bittend zurufen: Wendet Euch nach rechts und links, erklärt Euch und Eure Wissenschaft, erklärt sie möglichst breiten Kreisen, erklärt sie immer wieder und schaut dabei vor allem auf die Jugend. Auf dass sich auch morgen noch jemand für Eure Wissenschaft begeistert und Eure Labore und Studierstuben bevölkert. Geht auf die Menschen zu, erwartet nicht, dass man auf Euch zugeht!

[25.8.08]
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Über den Autor
Hans-Hennig von Grünberg ist Forschungsdekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz und Leiter des Bereichs "Computational Physical Chemistry" am Institut für Chemie, Uni Graz.
->   Hans-Hennig von Grünberg
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->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010