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Die Struktur hinter dem Wissenschaftsbetrug  
  Der Skandal an der Medizinuni Innsbruck ist noch lange nicht ausgestanden. Für den amerikanischen Wissenschaftshistoriker Horace Freeland Judson ist er das Paradebeispiel von Wissenschaftsbetrug.  
Judson hat vor vier Jahren ein Buch zum Thema veröffentlicht und sich mit Dutzenden Fällen von wissenschaftlichem Fehlverhalten auseinandergesetzt. Bei den Technologiegesprächen des Forum Alpbach hat er die Gemeinsamkeiten all dieser Fälle analysiert.
->   Mehr zum Innsbrucker Skandal: "Nature" ortet "faule" Verhältnisse in Österreich
Bild: Johannes Cizek
Horace Freeland Judson in Alpbach (2. von links)
science.ORF.at: Unterrichtsminister Johannes Hahn (ÖVP) hat beim Forum Alpbach gesagt, dass die Vorgänge in Innsbruck auf ein "schwarzes Schaf" zurückzuführen sind. Geben Sie ihm Recht?

Horace Freeland Judson: Es gibt immer einen institutionellen Rahmen. Wie jede Art von Verbrechen geschieht auch Wissenschaftsbetrug in einem sozialen Zusammenhang, der die Haltungen seiner Mitglieder bestimmt. Somit auch Fehlverhalten entweder fördert oder bekämpft. Die Rede vom einzelnen Verrückten oder Psychotiker heißt, sich vor dem Problem zu drücken. Entscheidend ist das institutionelle Umfeld, das derartige Praxen zulässt oder nicht.

Die Reaktion des Ministers war also typisch?

Ja, sie bedeutet soviel wie: Es gibt gar kein Problem.
->   Alpbach: Hahn weist "Nature"-Kritik zurück
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Das Thema der bis Samstag laufenden Technologiegespräche lautet "Wahrnehmung und Entscheidung in Wissenschaft und Technologie". Schwerpunkte der Veranstaltung sind heuer u.a. Ethik in der Forschung, Mythen der Life Science und ihre Konsequenzen sowie globale Erwärmung.
->   Technologiegespräche
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Sie haben sich viel mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in den USA und Großbritannien auseinandergesetzt, was haben die Fälle alle gemein?

Wieder das institutionelle Umfeld. Oft kommen sie in Labors vor, die in irgendeiner Weise Probleme haben, wo es viel Druck gibt, persönliche Auseinandersetzungen, wo der Laborchef seine Mitarbeiter schlecht behandelt usw. Deshalb sind die Menschen, die die Skandale aufdecken, oft sehr verärgert und unglücklich.

Das ist keine schöne Angelegenheit, sensible Menschen machen so etwas im Normalfall lieber nicht. Die Skandalaufdecker riskieren sehr viel, auch das Ende ihrer Karriere. Sie wissen das, und das macht die Sache so schwierig. Die Menschen, die am meisten Bescheid wissen, was gerade passiert, sind auch jene, die am meisten durch das gefährdet sind, was gerade passiert.
Es gibt eine Reihe von institutionellen Gründen, die Skandalaufdeckung in der Wissenschaft sehr schwierig machen.

Ja, Universitäten und andere Forschungseinrichtungen fürchten um ihren Ruf, um ihr Geld, ihre Subventionen. Deswegen versuchen sie bei Betrugsvorwürfen fast reflexartig, die Wahrheit zu vertuschen.
Wie sollten sie angemessen reagieren?

Die entscheidenden Fragen sind: Werden die Vorwürfe ernst genommen, wird ihnen so schnell wie möglich nachgegangen? Ganz wichtig ist es, dass die Universität die Sache von ganz oben die Sache untersucht, sobald ein Kollege einen Verdacht äußert. Sie muss zu dem belasteten Kollegen gehen und die Herausgabe des Datenmaterials verlangen: "Gib uns dein Notebook!"

Die meisten Wissenschaftler haben so etwas gar nicht gerne, in den USA gehören die Notebooks aber gar nicht ihnen, sondern der jeweiligen Institution bzw. dem Geldgeber - also dem Staat. Das ist der beste Schutz auch für den Wissenschaftler selbst, sollte er zu Unrecht beschuldigt worden sein.
Finden Sie, dass die Medizin-Uni Innsbruck die aktuelle Situation gut meistert?

So wie ich das "Nature"-Editorial von dieser Woche gelesen habe, reagieren sie schrecklich. Es geht nicht schlechter. Und jetzt haben sie auch noch den Rektor rausgeschmissen.
Was könnten Sie den Kollegen in Innsbruck raten?

Nachforschen, was die Vorwürfe sind, und die Beweise veröffentlichen. Das ist die einzige Chance.
Wir haben bisher keine Behörde zur wissenschaftlichen Integrität, sie ist aber geplant. Halten Sie das für eine gute Idee?

Sie brauchen eine Verankerung für derartige Fragen, eine Institution jenseits der lokalen Einrichtungen, die Nachforschungen betreiben kann. In den USA hat das Office for Research Integrity das in manchen sehr umstrittenen Fällen auch getan.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 22.8.08
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Horace Freeland Judson hat 2004 das Buch "The Great Betrayal: Fraud in Science" veröffentlicht.
->   Buchrezension in "Nature"
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->   Horace Freeland Judson (Wikipedia)
->   Artikel von Judson: The Glimmering Promise of Gene Therapy (Technology Review)
Aktuelles aus Alpbach:
->   Peter Markowich: Ein Österreicher in Arabien
->   Nicht mehr Frauen in außeruniversitärer Forschung
->   "Österreich fehlt Forschungsvision"
 
 
 
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01.01.2010