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Schon Babys können Blicke interpretieren  
  Jeder, der schon einmal vor Babys gestanden ist, weiß das: Per Augenkontakt kann man mit ihnen herrlich kommunizieren. Dass bereits vier Monate alte Babys in der Lage sind, Blicke und Mimik ihrer Umgebung zu interpretieren, haben nun Gehirnforscher bewiesen. Sie legen den Schluss nahe, dass die Fähigkeit zur sozialen Interaktion angeboren ist.  
Von entsprechenden Messungen der Gehirnaktivitäten von Babys berichten der Psychologe Gergely Csibra von der University of London und sein Team.
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Die Studie "Early cortical specialization for face-to-face communication in human infants" ist am 27.8. in den "Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences" erschienen (doi: 10.1098/rspb.2008.0986).
->   Abstract der Studie (sobald online)
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Der Mensch - ein soziales Tier
Der Mensch ist ein soziales Tier: Was schon Aristoteles wusste und auf seine berühmte Formel vom "zoon politikon" brachte, wird in den vergangenen Jahren auch von der Gehirnforschung immer wieder bestätigt.

Immer wieder umstritten ist die Frage, inwieweit die sozialen Kompetenzen des Menschen angeboren sind - entsprechend im Fokus stehen daher Studien zu Kleinstkindern und Babys.

Nachdem die Sprachfähigkeiten der Letzteren noch recht eingeschränkt sind, bemühen sich Forscher um einen anderen prototypischen Reiz der sozialen Kommunikation: das Gesicht und den Blick.
Der Blick ins Gesicht als Gradmesser
Gergely Csibra und Kollegen zitieren in ihrer Studie gleich eine Reihe von früheren Arbeiten zum Thema: So wurde bewiesen, dass Neugeborene nicht nur lieber in Gesichter mit offenen als mit geschlossenen Augen schauen, sondern dass sie direkt auf sie gerichtete Blicke auch lieber haben als abgewandte.

Forscher haben auch die These untermauert, dass eine frühe Sensibilität für den Blick von anderen ein Gradmesser sein kann für die spätere Entwicklung sozialer Fähigkeiten.

Das gleiche gilt auch umgekehrt: Autismus kann laut Studien durch gestörtes Blickverhalten im frühesten Kindesalter vorangekündigt werden.
Setting: Fotos mit ab- und zugewandtem Blick
Bild: Sarah Lloyd-Fox
Eines der Babys im Labor
Kein Wunder also, dass sich die Forschergruppe um Gergely Csibra nun für die Allerkleinsten interessiert hat. In zwei Versuchsreihen haben die Forscher die Gehirnaktivität von 24 Babys untersucht, die rund vier Monate alt waren.

Ihnen wurden zwei Serien fotorealistischer Bilder vorgeführt: auf der einen waren erwachsene Gesichter zu sehen, die den Blick zu den Babys richteten, auf der anderen blickten sie an den Babys vorbei. In beiden Fällen hoben sie nach den Blicken ihre Augenbraue und begannen zu lächeln.

Mit Hilfe zweier Messmethoden (Nahinfrarotspektroskopie, EEG) wurde der Blutfluss im Gehirn der Babys untersucht.
Babys reagieren wie Erwachsene
Das Ergebnis der Studien: Bei den Kleinstkindern werden während des direkten Augenkontakts die gleichen Areale im Gehirn aktiviert wie bei Erwachsenen - der rechte temporale und präfrontale Cortex.

Blickten die Babys hingegen auf das abgewandte Augenpaar oder auf einen dynamischen Vergleichsreiz - ein sich bewegendes Auto - blieben diese Gehirnregionen vergleichsweise inaktiv.

Auch beim direkten "In-die-Augen-Schauen" mit gleichzeitigem Heben der Augenbraue und Lächeln reagierte das Gehirn ähnlich wie bei Erwachsenen.
Frühe Spezialisierung der "sozialen" Gehirnregionen
Wie die Forscher schreiben, scheint es also eine sehr frühe Spezialisierung neuronaler Netzwerke im Cortex für die Gesichtswahrnehmung und Dechiffrierung ihrer sozialen Botschaften zu geben.

Hirnregionen, die sich auf andere Funktionen spezialisieren, tun dies erst zu einem viel späteren Zeitpunkt.

In der Diskussion, ob die sozialen Fähigkeiten angeboren oder erlernt sind, schlägt sich die Gruppe von Neurologen somit auf die erstere Seite.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 27.8.08
->   Gergely Csibra, University of London
Mehr zu den Kompetenzen von Babys in science.ORF.at:
->   Merkfähigkeit: Schon Babys verwenden Tricks
->   Schon Säuglinge "lesen" im Gesicht ihrer Eltern
->   Babys erkennen Fremdsprache an Mimik des Sprechers
 
 
 
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01.01.2010