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Finanzmarkt: Wenig rationale Entscheidungen  
  Bei jeder großen Finanzkrise stellen sich nach dem Platzen der Blase alle die Frage, wie es so weit kommen konnte. Forscher weisen seit Jahren auf die vielfach irrationalen Entscheidungen am Finanzmarkt hin.  
Urzeitliche Reflexe, Herdentrieb und Hormone spielen aus ihrer Sicht eine wichtige Rolle und erhöhen letztlich das Risiko eines großen Crashs. Bewusste Entscheidung sei nur die Oberfläche eines tiefen und starken Stroms von Einflüssen, glauben die Vertreter von Theorien der verhaltens- und gefühlsmäßigen Steuerung an den Finanzmärkten.
Boom lässt Risikofreudigkeit steigen
Vor allem bei einem längeren Boom wächst demnach das Risiko. Eine Serie von Gewinnen versetze die Händler in eine regelrecht euphorische Stimmung - was dazu führe, dass sie Alarmsignale ignorierten.

Die Finanzmakler hielten sich dann oft für die "Herrscher des Universums", sagt David Tuckett vom Londoner University College: "Sie glauben wirklich an die eigene Unbesiegbarkeit."

Obwohl alle wüssten, dass der Boom nicht ewig anhalten werde, "investieren sie weiter in ihn", sagt der Forscher. Und wenn es dann abwärts gehe, sei die erste Reaktion oft, das Problem zu ignorieren. Helfe das nichts, mache sich die Angst breit - und schließlich die Panik.
Irrationaler Herdentrieb
Trond Andresen von der norwegischen Universität für Wissenschaft und Technik glaubt, dass Investoren sich oft auch weniger über den eigentlichen Wert einer Anlage Gedanken machen als darüber, wie dieser Wert von anderen eingeschätzt wird.

"Kurzzeitige Schwankungen entstehen, wenn die Leute sich gegenseitig hinterher rennen", sagt er. Ohne diesen oft irrationalen Herdentrieb gäbe es laut Andresen wahrscheinlich deutlich weniger kurzfristiges Auf und Ab an den Finanzmärkten.
Hormonschübe
Die körpereigene Biochemie ist ein anderer Faktor, der nach Ansicht von Forschern vor allem junge männliche Anleger in die Irre führen kann. Der Wissenschaftler John Coates von der Universität Cambridge untersuchte dazu den Hormongehalt im Speichel von Händlern am Finanzmarkt London.

Dabei bestimmte er den Spiegel zweier Hormone: Testosteron, das bei Aggression und Sex eine wichtige Rolle spielt, und Cortisol, das im Körper bei Flucht-Reaktionen ausgeschüttet wird. Die Untersuchung ergab, dass die Händler bei Gewinnen von Testosteron durchflutet wurden, bei Verlusten aber der Cortisol-Spiegel stark stieg.
Mehr Frauen und alte Männer beschäftigen
Tierversuche hätten aber gezeigt, dass hohe Dosen von Testosteron über einen längeren Zeitraum das Urteilsvermögen beeinträchtigen und zu übermäßigen Risiken ermutigen könnten, sagte Coates.

Cortisol habe dagegen kurzfristig zwar auch eine euphorisierende Wirkung, nach zwei Wochen mit hohen Dosen könne dies aber ins Gegenteil umschlagen, das Selbstvertrauen untergraben und die Angst steigern.

"Wenn man jemandem mit hohem Testosteron-Spiegel und jemand anderem mit chronisch viel Cortisol dieselben Fakten vorlegt, wird der erste überall Chancen und der zweite nichts als Risiken sehen", sagte Coates. Banken täten deshalb gut daran, in ihren Handelsräumen auch Frauen und ältere Herren zu beschäftigen - diese stünden weniger unter dieser Art von Hormondruck als junge Makler-Männer.

[science.ORF.at/AFP, 19.9.08]
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01.01.2010