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Studie: Antidepressivum schädigt Samenzellen  
  Ein verbreitetes Antidepressivum könnte die Zeugungsfähigkeit von Männern beeinträchtigen. Einer US-Studie zufolge führt es zu Schäden an der DNA der Spermien, wodurch keine oder nicht entwicklungsfähige Embryonen entstehen. Die Hersteller des betroffenen Antidepressivums wollen mit einer Reaktion abwarten und die Studie zuerst eingehend prüfen.  
Die Forscher selbst beeilen sich darauf hinzuweisen, dass Männer, die entsprechende Medikamente nehmen und Kinder haben möchten, nicht einfach die Tabletten absetzen, sondern die Entscheidung in jedem Fall ihrem Arzt überlassen sollen.
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Der Frage "Are Antidepressants Harming Male Fertility?" wird im "New Scientist" (Ausgabe vom 27. September 2008, Nr. 2675, S. 11) nachgegangen.
->   "New Scientist"
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Negativer Effekt von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern
Schon 2006 berichteten Peter Schlegel und Cigdem Tanrikut vom Cornell Medical Center in New York von zwei Männern, deren Spermienzahl abgenommen hatte, nachdem sie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) geschluckt hatten.

SSRI gehören zu den gebräuchlichsten Medikamenten in der Behandlung von Depressionen, weil sie die Menge des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn erhöhen.
->   Mehr über SSRI (Wikipedia)
Fast ein Drittel geschädigte Samenzellen
Schlegels Team wollte nun an einer größeren Gruppe überprüfen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von SSRI und Veränderungen der männlichen Fortpflanzungsfähigkeit gibt. Sie verabreichten 35 gesunden Männern in einem mehrwöchigen Test den Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paroxetin (im Handel unter Seroxat und Paxil) und überprüften die Spermienqualität vor Beginn des Versuchs und vier Wochen nach dem Start.

Oberflächlich betrachtet schienen die Spermien nach Einnahme der Medikamente gesund, berichten die Forscher im "New Scientist". Bei genauerer Analyse zeigte sich aber, dass vermehrt Erbgutbrüche in den Samenzellen auftraten. Im Durchschnitt sei der Anteil von Spermien mit DNA-Schäden von 13,8 Prozent vor der Einnahme von Paroxetin innerhalb von nur vier Wochen auf 30,8 Prozent geschnellt, so die Mediziner.
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Geringere Chancen auf Nachwuchs
Experten halten einen Anteil von 30 Prozent Spermien mit DNA-Fragmentierungen für klinisch bedeutsam. Die Erbgutbrüche beeinflussten laut Studien nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Zeugung, sondern auch die Lebensfähigkeit von Embryonen: Je häufiger DNA-Schäden an Spermien auftreten, desto seltener entstehen demnach Embryonen. Und diejenigen, die sich bilden, haben deutlich weniger Chancen, sich erfolgreich in der Gebärmutter einzupflanzen.
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Verlangsamender Effekt schädlich?
Wodurch dieser Effekt zustande kommt, dazu können die Forscher selbst nur Hypothesen aufstellen. Paroxetin verlangsamt die Spermien auf ihrem Weg durch das männliche Fortpflanzungssystem. Dieser Effekt wird etwa genutzt, um vorzeitige Ejakulation zu behandeln.

Schlegel vermutet nun, dass die DNA der Spermien während dieser verlängerten Reise beschädigt wird, und wird darin von Fachkollegen bestärkt, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen SSRI-Präparaten und Zeugungsfähigkeit beobachtet haben.

Sie mahnen allerdings Studien ein, die möglichen Langzeiteffekten auf den Grund gehen - also etwa überprüfen, ob und in welcher Zeit sich das männliche Fortpflanzungssystem nach Absetzen der Medikamente wieder erholt.
GlaxoSmithKline wartet noch zu
Eine Sprecherin des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline, das Paroxetin vertreibt, sagte gegenüber dem "New Scientist", dass sie mit einer Reaktion noch zuwarten wollen. Vorher müsse man die Ergebnisse im Detail kennen und analysieren (Schlegel präsentiert seine Studie im November auf einer Konferenz der Amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin).

Bis dahin warnen auch die Forscher Patienten vor Schnellschüssen: Depressionen seien eine schwerwiegende Erkrankung, die teilweise auch mit einem erhöhten Selbstmordrisiko einhergeht. Vom eigenständigen Absetzen der Medikamente sei deshalb dringend abzuraten, Entscheidungen müssten von Fall zu Fall vom zuständigen Arzt getroffen werden.

[science.ORF.at/APA/dpa, 25.9.08]
->   Peter Schlegel
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01.01.2010