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RNA - die Sprache der Gene  
  Was ist die Sprache des menschlichen Lebens? Die Ribonukleinsäure (RNA). Seit kurzem wissen die Genetiker, dass die meisten Bücher der großen "Bibliothek des Genoms" in der "Sprache der RNA" geschrieben sind. Die komplexen Informationsnetzwerke scheinen der wahre Schlüssel zu Höherentwicklung zu sein. Der Molekularbiologe und START-Preisträger Norbert Polacek schildert, warum diese Erkenntnisse Forscher sprachlos machen und wie gute Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der Genomik und RNomik aussehen kann.  
Sprache der Gene - Sprachlosigkeit der Genetiker
Von Norbert Polacek

Die letzten Jahre brachten der Genomik - die Wissenschaft, die sich mit der Erforschung aller Gene eines Organismus beschäftigt - eine wahre Revolution, welche unbestreitbar mit der Sequenzierung des humanen Genoms ihren Höhepunkt hatte.

Neben dem menschlichen Genom können aber Genomforscher heute auf mehr als 840 vollständig entschlüsselte Genome anderer Organismen zurückgreifen; und fast täglich werden es mehr! Die wesentlichste Erkenntnis aus dem Vergleich dieser vielen Genome war, dass der Mensch nur unwesentlich mehr Protein-kodierende Gene besitzt als ein einfaches Bakterium.
Gene: Mensch vs. Einzeller
Noch bis in die letzten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nahm man an, dass der Mensch über weit mehr als 100.000 Gene verfüge und sich dadurch die Komplexität der humanen Biologie erklären lasse. Tatsächlich bewegt sich nach neuesten Studien die Anzahl an Genen beim Menschen aber Richtung 20.000.

Mit wenigen Ausnahmen ist der Schluss daher unzulässig, dass höher entwickelte Organismen größere Genome, also mehr DNA haben, als simple Einzeller. Wo liegt nun der Unterschied?
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative
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RNA - Sprache des Genoms
Die Antwort, die sich kürzlich herauskristallisiert hat, ist klar: Der vorwiegende Output - "die Sprache" - des Genoms ist nicht-Protein-kodierende Ribonukleinsäure - kurz RNA! Wenn man eine Analogie bemühen möchte, dann ist das Genom eines Organismus mit einer Bibliothek vergleichbar, wobei jedes Buch einem Gen entspricht.

Die neusten Erkenntnisse der Genomik besagen also daher, dass die meisten "Bücher" dieser Bibliothek in der "RNA Sprache" geschrieben sind. Diese auch als non-coding RNA Gene bezeichneten Informationseinheiten werden von der DNA-Ebene in RNA überschrieben. Bis zu diesem Schritt unterscheiden sie sich nicht von den "Protein-Büchern".
Eine Million RNA-Gene
Im Gegensatz zu Protein-kodierenden Genen enthalten non-coding RNA Gene jedoch keine Information zum Herstellen von Proteinen. Diese RNAs sind daher bereits direkt das Endprodukt der gespeicherten genetischen Information.

Optimistische Schätzungen gehen von bis zu einer Million dieser RNA Gene im humanen Genom aus. Diese Annahme wird von neuesten Daten unterstützt. Diese zeigen, dass nahezu das gesamte menschliche Genom - in Summe bestehend aus 3,3 Milliarden DNA Bausteinen - in RNA übersetzt wird, jedoch nur ein verschwindend kleiner Teil von ca. 1,4 Prozent als Vorlage für die Synthese von Proteinen fungiert.
Schlüssel zur Höherentwicklung
Wesentlich dabei ist, dass simple einzellige Organismen, wie zum Beispiel das "Haustier der Molekularbiologen", das Darmbakterium Escherichia coli, nur wenige RNA Gene besitzt (rund 100). Im Laufe der Evolution der Arten nahm primär der nicht-kodierende Bereich des Genoms zu.

Es ist daher weit mehr als nur ein Tagtraum von RNA-Fanatikern, wenn behauptet wird, dass der Schlüssel zur Höherentwicklung von Organismen in den non-coding RNAs zu finden ist. Die Funktionen dieser RNAs sind vielfältig und reichen von der Regulation der Expression von Protein-kodierenden Genen bis hin zur direkten Katalyse von chemischen Reaktionen.
Komplexe Informationsnetzwerke
Mit anderen Worten: Non-coding RNAs bilden komplexe Informationsnetzwerke in Organismen aus, die bestimmen, welche "Bücher" der "Genom-Bibliothek" wann und wo gelesen werden.

Dadurch bieten diese RNAs auch einen neuen und vielversprechenden Ansatzpunkt für therapeutische Maßnahmen. Erste auf der Ebene der non-coding RNA basierende Medikamente sind bereits auf dem Markt.
Sprachlosigkeit der Genetiker
Die Genetiker und Genomforscher sind ob dieser als revolutionär einzustufenden Erkenntnisse über die Vielzahl und Vielfalt der non-coding RNAs von einer gewissen Sprachlosigkeit befallen. Es vergeht keine Woche, in der nicht in einem Fachjournal eine neue RNA mit meist bis dato unbekannter Funktion vorgestellt wird.

Es ist anzunehmen, dass wir heute erst an der Spitze des RNA-Eisbergs kratzen und es wird noch Jahre dauern, bis wir die Funktionsweise, also den Inhalt, all dieser "RNA-Bücher" des Genoms verstehen.
Mangelnde Vermittlungsarbeit
Sprachlos sind viele Genomforscher aber leider auch allzu oft, wenn es um Öffentlichkeitsarbeit geht, also um den Diskurs mit dem nicht-fachspezifischen Publikum. Dabei wäre es gerade in einem Bereich der Naturwissenschaften, der derart polarisiert wie die Genomforschung, dringend nötig, Zeit und Energie zu investieren, um die faszinierenden neuen Einsichten in die Materie des Lebens, aber auch die Anwendungschancen und Risken auf möglichst breiter Basis zu vermitteln.

Es ist von Seiten der Wissenschaft her nicht ausreichend, seiner Lieblingsdisziplin die derzeit so moderne Endung "-omik" anzuhängen und dann zu glauben, man hat damit bereits Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Nicht einmal unter Fachkollegen sind sich alle ganz einig, was denn unter "Genomik", "Proteomik", "Transkriptomik", "RNomik", "Metabolomik" usw. denn eigentlich genau zu verstehen sei.
Desinformation zur "Gentechnik"
Sprachlosigkeit macht sich aber unter Genetikern auch breit, wenn man die - bewusste ? - Desinformation in manchen öffentlichen Medien zum Thema Gentechnik mitverfolgt.

Diese "Informationskampagnen" gipfelten oft in molekularbiologischen Stilblüten wie der Forderung nach "Gen-freiem Essen" oder behandelten Fragen wie "Kann man Gene essen?".

Dem populistischen Missbrauch dieses Unwissens hat leider auch so manche renommierte NGO (Greenpeace, Global 2000, usw.) Vorschub geleistet. Das österreichische Gentechnik-Volksbegehren 1997 bildete in diesem Zusammenhang einen negativen Höhepunkt.
Positive Ausnahmen
Wie kann man dieses Dilemma lösen? Wirklich gute Öffentlichkeitsarbeit von seiten der Biowissenschaftler ist leider selten. Hier sollen aber einige positive Ausnahmen wie der Verein "dialog<>gentechnik", das "Vienna Open Lab" oder "Die lange Nacht der Forschung" erwähnt werden. Vor allem letztere Veranstaltungsreihe stellte sich als höchst effizient und förderlich heraus.

Die an der "Langen Nacht der Forschung" beteiligten Wissenschaftler wurden überrascht und überwältigt vom beispiellosen Interesse der Öffentlichkeit an ihrem Fachgebiet. Besucher jeden Alters rannten den beteiligten Instituten buchstäblich die Türen ein, um Informationen über die Genomforschung aus erster Hand zu bekommen. Nur eine ausreichende Unterstützung dieses vielversprechenden Ansatzes von Vermittlungstätigkeit würde sicherstellen, dass aus der "Langen Nacht der Forschung" eine kontinuierliche Institution werden könnte.
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Über den Autor
Norbert Polacek ist Molekularbiologe von der Sektion für Genomik und RNomik am Biozentrum der Medizinischen Universität Innsbruck. Der Wissenschaftler beschäftigt sich vor allem mit der Ribonukleinsäure (RNA) und ihren Schlüsselfunktionen im menschlichen Genom. Polacek wurde mehrfach ausgezeichnet - unter anderem mit dem START-Preis im Jahr 2006 und dem Novartis-Preis 2006.
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01.01.2010